Shogun
unhörbarer Stimme.
Vinck kreischte vor Lachen. Dann hörte er ebenso abrupt auf, wie er angefangen hatte. »Ich – ich bin derjenige, der tot ist«, sagte er. »Ich bin tot.«
»Wir waren alle damit einverstanden«, sagte Jan Roper mit zuversichtlicher Stimme. »Hab keine Furcht! Du bist der Gesalbte des Herrn! Du bist in Gottes Hand!«
»Ihr habt gut reden jetzt, nicht wahr?« Vincks Augen wanderten von Gesicht zu Gesicht, doch niemand wollte seinem Blick begegnen. Nur Blackthorne sah nicht beiseite.
Vinck starrte ihn an. Dann nahm er das Trinkgefäß, füllte es mit Wasser und reichte es erst Blackthorne. »Allmächtiger Gott, Herr Jesus, Pilot«, sagte er, »was soll ich bloß tun?«
»Zunächst hilf mir mal mit Paulus, Vinck! Tu, was ich dir sage! Kommt er wieder in Ordnung?«
Vinck fegte seine Todesangst beiseite. Blackthornes Ruhe half ihm dabei. Spillbergens Puls ging nur noch schwach. Vinck lauschte seinem Herzschlag, zog sein Augenlid hoch und blickte einen Moment in die Pupille. »Ich weiß nicht, Pilot! Herrgott, ich kann nicht richtig denken. Sein Herz ist in Ordnung, glaube ich. Er müßte zur Ader gelassen werden – aber ich kann nicht – ich kann mich nicht darauf konzentrieren … Gebt mir …« Erschöpft hielt er inne, setzte sich zurück, lehnte sich gegen die Wand. Schauder schüttelte ihn.
Die Falltür ging auf.
Wie in Holz geschnitten stand Omi vorm Himmel, sein Kimono blutrot von der sinkenden Sonne.
4. Kapitel
Vinck versuchte, sich zum Aufstehen zu zwingen, aber er schaffte es nicht. Oft in seinem Leben hatte er dem Tod ins Auge gesehen, niemals jedoch so wie jetzt – verzagt. Das Los hatte gegen ihn entschieden. Warum ich? Ich bin nicht schlechter als die anderen. Herrgott im Himmel, warum ausgerechnet ich?
Eine Leiter war heruntergelassen worden. Omi gab durch Gesten zu verstehen, der Mann, den sie bestimmt hatten, solle heraufkommen, und zwar rasch!
Van Nekk und Jan Roper beteten schweigend und mit geschlossenen Augen. Pieterzoon konnte nicht hinsehen. Blackthorne starrte zu Omi und seinen Männern hinauf.
»Isogi! – Beeilt Euch!« bellte Omi.
Wieder versuchte Vinck, sich aufzurichten. »Helft mir! Helft mir aufstehen!«
Pieterzoon, der ihm am nächsten stand, beugte sich hinunter, schob ihm eine Hand unter die Achsel und half ihm, sich aufzurichten.
Dann stand plötzlich Blackthorne am Fuß der Leiter, beide Füße fest in den Schlamm gedrückt.
»Kinjiru!« rief er und benutzte das Wort, das er an Bord der Erasmus gelernt hatte. Allen in der Grube blieb die Luft weg. Omi packte seinen Schwertgriff fester und trat an die Leiter heran.
»Kinjiru!« rief Blackthorne noch einmal.
Omi hielt inne.
»Was ist los?« fragte Spillbergen ängstlich.
»Ich hab' ihm gesagt, es ist verboten! Keiner geht in den Tod, ohne daß vorher um ihn gekämpft wird.«
»Aber – wir hatten uns doch geeinigt …«
»Ich nicht!«
»Ihr habt den Verstand verloren.«
»Schon gut, Pilot«, flüsterte Vinck. »Ich – wir haben uns geeinigt, und es ist nur recht so. Es ist der Wille Gottes. Ich gehe …« Er machte einen unbeholfenen Schritt vorwärts auf die Leiter zu, doch Blackthorne stand unerschütterlich im Weg und sah Omi an.
»Du gehst nicht kampflos! Keiner tut das.«
»Geht von der Leiter weg, Pilot! Ich befehle Euch wegzugehen!« Am ganzen Leibe zitternd drückte Spillbergen sich in die äußerste Ecke, soweit von der Falltür entfernt wie nur möglich. Seine Stimme klang schrill, als er rief: »Pilot!« Doch Blackthorne hörte nicht auf ihn. »Macht euch bereit!«
Omi trat einen Schritt zurück und rief seinen Leuten krächzend Befehle zu. Sofort schickte ein Samurai mit zwei anderen im Gefolge sich an, die Leiter herunterzuklettern – mit blanken Schwertern. Blackthorne drehte die Leiter mit einem Ruck und packte den ersten Samurai, taumelte unter seinen heftigen Schwerthieben und versuchte, den Mann zu erdrosseln.
»Helft mir! Kommt! Es geht um euer Leben!«
Blackthorne wandte einen anderen Griff an, um den Mann von den Sprossen herunterzuzerren. Er wurde in die Enge getrieben, als der zweite Mann herunterstieg. Vinck erwachte aus seiner Erstarrung und warf sich wie ein Berserker auf den Samurai. Er fing den Schwerthieb ab, der Blackthorne sonst zweifellos das Handgelenk durchtrennt hätte, hielt sich den bebenden Schwertarm vom Leib und schmetterte dem Mann die andere Faust in die Leisten. Der Samurai schnappte nach Luft und trat wütend um sich. Vinck
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