Shogun
Mörder hieß Obaka Hiro und war der Sohn seines mächtigsten Verbündeten. Vielleicht kennt Ihr die Geschichte, wie der Jüngling Herrn Chikitada mit einem einzigen Schwertstreich den Kopf abschlug. Es war eine Klinge von Murasama, und darauf gründet sich der Aberglaube, daß alle Murasama-Klingen der Sippe der Yoshi nur Unglück bringen.«
Erzählt er mir das wegen meines eigenen Murasama-Schwertes? fragte Yabu sich. Oder ist er nichts weiter als ein alter Mann, der sich an einen besonderen Tag in seinem langen Leben erinnert? »Wie war Toranagas Großvater denn?« fragte er und tat so, als interessierte ihn das alles nicht sonderlich; er wollte Suwo auf die Probe stellen.
»Groß, Yabu-sama. Größer als Ihr und viel schlanker. Er war fünfundzwanzig an dem Tag, da er starb.« Suwos Stimme wurde wärmer. »Eeee, Yabu-sama, er war schon mit zwölf ein Krieger und wurde mit fünfzehn, als sein Vater einem Hinterhalt zum Opfer fiel, unser Lehnsherr. Damals war Herr Chikitada verheiratet und hatte bereits einen Sohn. Ein Jammer, daß er sterben mußte! Obaka Hiro war sein Gefolgsmann und sein Freund. Er war damals siebzehn, aber irgendwer hatte die Gedanken des jungen Obaka vergiftet und ihm eingeredet, Chikitada habe vor, seinen Vater zu verraten und ihn zu töten. Das waren selbstverständlich lauter Lügen, aber damit wurde Chikitada noch lange nicht wieder lebendig, uns zu führen. Der junge Obaka kniete vor dem Leichnam nieder und verneigte sich dreimal. Er sagte, er habe diese Tat aus kindlicher Hochachtung vor seinem Vater getan, wünsche jetzt jedoch, für die Beleidigung, die er uns und unserer Sippe angetan, zu sühnen, indem er Seppuku beging. Die Erlaubnis dazu wurde erteilt. Zuerst wusch er Chikitadas Haupt mit eigenen Händen und setzte es voller Hochachtung an die richtige Stelle. Dann jedoch schlitzte er sich den Bauch auf und starb wie ein Mann – einer von unseren Leuten machte den Sekundanten und trennte ihm das Haupt mit einem Schwerthieb vom Rumpf. Später kam der Vater, um den Kopf seines Sohnes sowie das Murasama-Schwert heimzuholen. Daraufhin nahmen die Dinge für uns eine Wendung zum Schlechteren. Herrn Chikitadas einziger Sohn wurde irgendwo als Geisel festgehalten, und für unseren Zweig der Sippe brachen böse Zeiten an. Das war …«
»Du lügst, alter Mann. Du warst niemals dabei.« Yabu hatte sich umgedreht und starrte zu dem Mann hinauf, der augenblicklich erstarrt war. »Das Schwert wurde nach Obakas Tod zerbrochen und vernichtet.«
»Nein, Yabu-sama. So heißt es zwar in der Legende. Aber ich sah den Vater kommen und Kopf und Schwert heimholen. Wer sollte schon ein solches Kunstwerk vernichten wollen? Das wäre Frevel gewesen. Sein Vater kam persönlich es holen.«
»Und was tat er damit?«
»Er warf es ins Meer.«
»Hast du das selbst gesehen?«
»Nein.«
Yabu legte sich wieder hin, und die Finger nahmen ihre Arbeit wieder auf. Der Gedanke, noch jemand wisse, daß das Schwert nicht zerbrochen worden war, erregte ihn eigentümlich. Du solltest Suwo umbringen, sagte er sich. Warum? Wie sollte ein Blinder die Klinge erkennen? Sie ist wie jede andere Murasama-Klinge, und Griff und Scheide sind im Laufe der Jahre oft erneuert worden. Kein Mensch kann wissen, daß dein Schwert jenes Schwert ist, das, je größer Toranagas Macht wurde, mit immer größerer Heimlichkeit von einer Hand zur anderen gegangen ist. Wozu Suwo umbringen? Die Tatsache, daß er lebt, macht die Sache nur um so reizvoller. Laß ihn am Leben – du kannst ihn ja jederzeit töten.
Diese Vorstellung gefiel Yabu, und abermals ließ er voller Behagen seine Gedanken schweifen. Eines Tages, und zwar bald, so gelobte er sich, werde ich mächtig genug sein, mein Murasama-Schwert in Toranagas Gegenwart zu tragen. Vielleicht werde ich ihm sogar die Geschichte meines Schwertes erzählen. »Und was geschah dann?« fragte er. Er hatte das Verlangen, sich von der Stimme des Alten einlullen zu lassen.
»Für uns kamen böse Zeiten. Das war das Jahr der großen Hungersnot. Da mein Herr jetzt tot war, wurde ich ein Ronin.« Ronin waren land- oder herrenlose Bauernkrieger oder Samurai, die aufgrund von Ehrverlust oder weil sie ihren Herrn verloren, gezwungen waren, durch das Land zu streifen, bis ein anderer Herr sie in seine Dienste nahm. Es war schwierig für einen Ronin, eine neue Anstellung zu finden. Die Lebensmittel waren knapp, fast jeder Mann war Soldat, und Fremden traute man nur selten. Die meisten Mitglieder
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