Shogun
Zustand der Erstarrung. Bis auf Salamon. Der tastete sich bis zu Blackthorne hinüber und riß ihn vom gleichfalls bewußtlosen Samurai herunter. Er brachte wortähnliche Laute hervor und zeigte auf das Wasser. Croocq schöpfte etwas mit einem Trinkgefäß, half ihm, Blackthorne aufzurichten und ihn gegen die Wand zu lehnen. Gemeinsam fingen sie dann an, ihm den Schmutz von seinem Gesicht zu wischen.
»Als die Hunde – als sie auf ihn runterstürzten, glaubte ich zu hören, wie sein Genick oder seine Schulterknochen brachen«, sagte der Knabe schwer atmend. »Er sieht aus wie ein Toter, Herr Jesus!«
Sonk zwang sich aufzustehen und ertastete sich über sie hinweg seinen Weg. Behutsam bewegte er Blackthornes Kopf von einer Seite auf die andere, tastete ihm die Schulter ab. »Scheint aber alles in Ordnung. Müssen warten, bis er wieder zu sich kommt und reden kann.«
»Oh, Herr Jesus Christ«, begann Vinck zu wimmern. »Armer Pieterzoon – ich bin verdammt – ich bin verdammt …«
»Wolltest ja gehen. Der Pilot hat dich dran gehindert. Du warst bereit zu gehen, wie du es gelobt hattest. Ich hab's gesehen, bei Gott!« Sonk schüttelte Vinck, doch der kümmerte sich nicht darum. »Ich hab's gesehen, Vinck!« Damit wandte er sich an Spillbergen, scheuchte die Fliegen fort und sagte: »Stimmt das etwa nicht?«
»Ja, er war bereit zu gehen. Vinck, hör auf zu jammern! Es war die Schuld des Piloten! Gebt mir etwas Wasser!«
Jan Roper schöpfte mit dem Becher noch etwas Wasser und netzte damit die Wunde an seiner Wange. »Vinck hätte gehen sollen. Er war das Lamm Gottes! Er war auserwählt. Und jetzt ist seine Seele der ewigen Verdammnis anheimgefallen.«
»Gebt mir Wasser!« winselte der Generalkapitän.
Van Nekk nahm Jan Roper das Trinkgefäß ab und reichte es Spillbergen. »Es war nicht Vincks Schuld«, sagte van Nekk erschöpft. »Er konnte nicht hochkommen. Er bat jemand, ihm zu helfen. Ich hatte solche Angst, daß ich mich auch nicht rühren konnte, und dabei hatte ich doch nichts zu befürchten.«
»Alle Engländer sind verrückt«, sagte Sonk. »Habt ihr jemals einen gekannt, der nicht verrückt war?«
»Schweinehunde und Seeräuber – durch die Bank, alle!« sagte Ginsel.
»Nein, nicht alle«, sagte van Nekk. »Der Pilot hat doch nur getan, was er für richtig hielt. Er hat uns beschützt und hat uns zehntausend Leguas weit geführt!«
»Uns beschützt – daß ich nicht lache! Fünfhundert waren wir, als wir losfuhren, und fünf Schiffe. Jetzt sind wir nur noch neun!«
»War ja nicht seine Schuld, daß das Geschwader auseinandergerissen wurde. Was konnte er dafür, daß die Stürme uns …«
»Wär' er nicht gewesen, wir säßen heut noch in der Neuen Welt, bei Gott! Er war es doch, der behauptete, er könne die japanischen Inseln erreichen. Und um des lieben Herrn Jesus willen – seht euch doch mal um, wo wir sind!«
»Wir waren alle einverstanden, daß wir versuchen sollten, Japan zu erreichen – alle«, sagte van Nekk müde. »Wir waren alle dafür!«
»Schon! Aber trotzdem war er es, der uns dazu überredet hat.«
»Aufpassen!« rief van Nekk und wies auf den Samurai, der sich regte und stöhnte. Sonk war wie der Blitz über ihm und rammte ihm die Faust ans Kinn. »Beim Tod Christi! Wozu haben die Hunde ihn bloß hiergelassen? Hätten ihn doch leicht mitnehmen können. Was hätten wir schon dagegen tun wollen!«
»Glaubt ihr, sie haben ihn für tot gehalten?«
»Keine Ahnung! Gesehen haben müssen sie ihn. Beim lieben Herrn Jesus – könnt ich jetzt ein Bier gebrauchen!« sagte Sonk.
»Schlag ihn nicht noch mal, Sonk! Bring ihn nicht um! Er ist eine Geisel.«
Croocq sah zu Vinck hinüber, der in sich zusammengekauert an der Wand hockte, und was er sah, war winselnder Selbsthaß. »Gott steh uns allen bei! Was werden sie wohl mit Pieterzoon machen? Und was mit uns?«
»Der Pilot ist schuld«, sagte Jan Roper. »Er allein!«
Mitleidig linste van Nekk zu Blackthorne hinüber. »Das spielt doch jetzt keine Rolle mehr, oder?«
Wie von der Tarantel gestochen schoß plötzlich Maetsukker auf. Das Blut rann ihm immer noch den Unterarm herunter. »Ich bin verwundet! Helft mir!«
Aus einem Fetzen Hemd drehte Salamon eine Adernpresse und staute das Blut. Der Schnitt in Maetsukkers Bizeps ging zwar tief, aber es waren keine Venen oder Arterien durchtrennt. Die Fliegen fingen an, sich auf der Wunde niederzulassen.
Oben ließen sich Schritte vernehmen. Die Falltür ging auf.
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