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Shogun

Shogun

Titel: Shogun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Clavell
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Dorfbewohner fingen an, ganze Fässer von Fischabfällen und Meerwasser in den Keller hinunterzugießen. Als der Boden drei Handbreit damit bedeckt war, hörten sie auf.
    Die ersten Schreie kamen, als der Mond hoch stand.
    Yabu kniete im geschlossenen Garten von Omis Haus. Regungslos. Er beobachtete das Mondlicht auf dem Blütenbaum – die Zweige kohlschwarz vor dem helleren Himmel, die Blütendolden blaß überhaucht. Ein Blütenblatt schwebte kreiselnd herab, und er dachte:
    Schönheit
wird nicht geringer,
weil sie im linden Wind
herabtaumelt.
    Ein zweites Blütenblatt sank hernieder. Aufseufzend nahm der Wind noch eines mit. Der Baum war kaum mannshoch und eingebettet zwischen bemoosten Felsen, die aus der Erde hervorzuwachsen schienen, so geschickt hatte man sie hingesetzt.
    Nur mit äußerster Willensanstrengung konnte Yabu sich auf den Baum und die Blüten konzentrieren, auf den Himmel und die Nacht, darauf, das linde Fächeln des Windes zu spüren und die Meeressüße darin zu riechen, an Gedichte zu denken – und gleichzeitig die Ohren zu spitzen und den Todesschreien zu lauschen. Sein Rückgrat fühlte sich weich an. Einzig seine Willenskraft machte ihn starr wie Fels. Sein Bewußtsein machte seine Sinne unaussprechlich wach. Und heute abend war dieses Erlebnis mächtiger und heftiger als je zuvor.
    »Omi-san, wie lange wird unser Herr hierbleiben?« hatte Omis Mutter angstvoll im Inneren des Hauses geflüstert.
    »Ich weiß es nicht.«
    »Die Schreie sind furchtbar. Wann werden sie aufhören?«
    Sie saßen hinter einem Wandschirm im zweitbesten Raum. Das beste Zimmer war Yabu überlassen worden, und beide Räume gingen auf den Garten hinaus, den er mit viel Mühe und Überlegung angelegt. Durch das Gitterwerk konnten sie Yabu erkennen: Der Baum zeichnete ein dunkles Muster auf sein Gesicht, der Mondschein schimmerte auf den Griffen seiner Schwerter. Er trug einen dunklen Haori , einen langen Überwurf; über seinem dunkelfarbenen Kimono.
    »Ich möchte schlafen gehen«, sagte die Frau zitternd. »Aber bei diesen Schreien kann ich nicht schlafen. Wann wird er aufhören?«
    »Ich weiß es nicht. Seid geduldig, Mutter«, sagte Omi leise. »Morgen wird Herr Yabu nach Yedo zurückkehren. Bitte, habt Geduld.« Dabei wußte Omi, daß sich die Folter bis zum Morgengrauen hinziehen würde. So war es geplant.
    Er versuchte, sich zu konzentrieren. Weil sein Lehnsherr sich bei diesen Schreien in der Versenkung übte, versuchte er, es ihm gleichzutun. Doch schon der nächste Schrei riß ihn zurück in die Wirklichkeit, und er dachte, ich kann nicht, ich bringe es einfach nicht fertig, noch nicht. Ich besitze einfach nicht dieses Maß an Kraft wie er.
    Ist es wirklich Kraft? Ist es wirklich Willensstärke?
    Er konnte Yabus Gesicht klar erkennen. Er versuchte, den sonderbaren Ausdruck in den Zügen seines Daimyo zu lesen: die leichte Biegung in den schlaffen Lippen, die Speichelbläschen an den Mundwinkeln, die Augen, die dunkel in den Schlitzen lagen und einzig den herniederschwebenden Blütenblättern folgten. Es ist fast so, als ob er einen sexuellen Höhepunkt erreicht habe – oder gerade erreiche –, ohne sich selbst zu berühren. Ist das möglich?
    Es war das erstemal, daß Omi in so engem Kontakt mit seinem Onkel war, denn er war nur ein sehr unbedeutendes Mitglied innerhalb des Klans, und sein Lehen, Anjiro, sowie das umliegende Land waren arm. Omi war der jüngste von drei Söhnen seines Vaters, und sein Vater, Mizuno, hatte noch sechs weitere Brüder. Yabu war der älteste und damit das Oberhaupt des Kasigi-Klans. Omis Vater der Zweitälteste. Omi war einundzwanzig und hatte einen kleinen Sohn.
    »Wo ist deine unbedeutende Frau?« quengelte die alte Frau. »Ich will, daß sie mir Rücken und Schultern massiert.«
    »Sie mußte ihren Vater besuchen gehen, wißt Ihr nicht mehr? Er ist sehr krank, Mutter. Laßt mich es für Euch tun.«
    »Nein. Du kannst gleich nach einer Magd schicken. Deine Frau ist sehr rücksichtslos. Sie hätte ein paar Tage warten sollen. Ich habe die ganze Reise von Yedo hierher gemacht, um dich zu besuchen, und was passiert? Kaum bin ich eine Woche hier, reist sie fort. Sie taugt zu nichts, ja. Du solltest ihr befehlen, für immer fortzubleiben – trenne dich ein für allemal von dieser nichtsnutzigen Person. Zumindest solltest du sie einmal richtig übers Knie legen! Diese entsetzlichen Schreie! Warum hören sie nicht auf?«
    »Sie werden aufhören. Sehr bald schon!«
    »Du

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