Shogun
würde. Dann war er in den Garten hinausgegangen, um die Felsen wachsen zu sehen. Aber sie waren nicht gewachsen.
Jetzt marschierte er gerade über die letzte Zugbrücke. Andere Gäste, auch sie von Grauen umringt, bewegten sich in derselben Richtung. Er merkte, wie sie ihn verstohlen beobachteten.
Seine Füße trugen ihn unter dem letzten Fallgitter hindurch, und die Grauen führten ihn weiter durch den Irrgarten bis zu einem gewaltigen Tor. Hier ließen sie ihn allein. Beherzt trat er in den fackelerleuchteten Schlund.
Es war ein riesiger Raum, die Balkendecke golden geschmückt. Fünfhundert Samurai samt ihren Damen waren bereits versammelt. Ihre Kimonos schillerten in allen Regenbogenfarben, ihr Duft vermischte sich mit dem Wohlgeruch kostbarer Hölzer, die in kleinen Kohlebecken an den Wänden verglommen. Blackthornes Augen suchten eilig die Menge ab, ob er nicht Mariko entdecke oder Yabu oder irgendein freundliches Gesicht, doch er kannte niemand. Auf der einen Seite standen Gäste Schlange und warteten darauf, sich vor der erhöhten Plattform am anderen Ende zu verneigen. Der Höfling, Prinz Ogaki Takamoto, stand da. Blackthorne erkannte Ishido … groß, hager und selbstherrlich … auch er neben dem Podest, und er erinnerte sich lebhaft an die blind machende Gewalt, die hinter der Maulschelle dieses Mannes gesessen, und wie sich seine eigenen Finger um den Hals des Mannes gekrallt hatten.
Ganz allein auf dem Podest thronte die Dame Ochiba. Sie saß bequem auf einem Kissen. Selbst aus dieser Entfernung konnte er sehen, wie überaus prachtvoll ihr Kimono war: Goldfäden auf feinster schwarzblauer Seide. ›Die Höchsterhabene‹ hatte Uraga sie ehrfürchtig genannt, als er ihm auf der Reise viel von ihr erzählt hatte.
Sie war zierlich, fast mädchenhaft, und ihre Haut schimmerte hell. Ihre schlehenfarbenen Augen waren groß unter den künstlich nachgezogenen, wohlgerundeten Brauen, und ihr Haar war wie ein Flügelhelm frisiert.
Die Prozession der Gäste bewegte sich langsam vorwärts. Blackthorne stand auf der einen Seite in einem Lichtkreis und überragte die Umstehenden um Haupteslänge. Höflich trat er beiseite, um einige vorüberkommende Gäste vorbeizulassen, und er sah, wie Ochibas Augen sich auf ihn richteten. Jetzt sah auch Ishido ihn an. Sie tauschten ein paar Worte, und beider Augen wandten sich wieder ihm zu.
Voller Unbehagen trat er auf eine Wand zu, um etwas weniger aufzufallen, doch ein Grauer versperrte ihm den Weg. »Dozo«, sagte dieser Samurai höflich und wies auf die Schlange.
»Hai, domo«, sagte Blackthorne und reihte sich ein.
Die vor ihm verneigten sich, und diejenigen, die sich hinter ihm anstellten, verneigten sich gleichfalls vor ihm. Er erwiderte die Verneigungen. Bald erstarb jede Unterhaltung. Aller Augen waren auf ihn gerichtet.
Verlegen traten die Herren und Damen vor ihm beiseite. Jetzt war niemand mehr zwischen ihm und dem Podest. Einen Augenblick stand er steif aufgerichtet dar. Dann, unter vollkommenem Schweigen, marschierte er vorwärts.
Vor dem Podest kniete er nieder und verneigte sich förmlich, einmal vor ihr und einmal vor Ishido, wie er es bei den anderen gesehen. Dann erhob er sich, erstarrt vor Angst, daß seine Schwerter herunterfallen oder er ausrutschen und sich entehren könnte, doch alles ging gut, und er fing an, sich unter Verneigungen zurückzuziehen.
»Bitte, wartet, Anjin-san«, sagte sie.
Er blieb stehen. Er spürte die außerordentliche Sinnlichkeit, die von ihr ausging, ohne daß sie sich bewußt darum bemüht hätte.
»Man erzählt, daß Ihr unsere Sprache sprecht?« Ihre Stimme bekam etwas unerklärlich Persönliches.
»Bitte, verzeiht mir, Hoheit«, begann Blackthorne und brachte seinen wohlerprobten Standardsatz an, wobei er in seiner Aufregung ein wenig über die eigenen Worte stolperte. »Es tut mir leid, aber ich muß einfache Wörter benutzen und bitte Euch ehrerbietig, Euch mir gegenüber einer genauso schlichten Ausdrucksweise zu befleißigen, damit ich die Ehre habe, Euch zu verstehen.« Er wußte, daß ohne jeden Zweifel sein Leben von seinen Antworten abhängen konnte. Aller Aufmerksamkeit richtete sich jetzt auf ihn. Er bemerkte, wie Yabu sich vorsichtig durch die Menge vorschob und näherkam. »Dürfte ich Euch ehrerbietig zu Eurem Geburtstag gratulieren und die Bitte vortragen, daß Ihr noch tausend weitere solche Ehrentage erleben möget?«
»Das sind aber kaum schlichte Worte, Anjin-san«, sagte die Dame Ochiba sehr
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