Shogun
ohne Würde – was war ohne sie schon der Sinn des Lebens?
Ungerührt stocherte Zukimoto im halbgegarten Fleisch an den Beinen des Mannes herum, nicht anders, als man es bei einem gesottenen Fisch machen würde, um nachzusehen, ob er schon fertig sei. »Er wird gleich wieder zu sich kommen. Erstaunlich, wie lange er es durchgehalten hat. Ich glaube nicht, daß sie gemacht sind wie wir. Sehr interessant, nicht wahr?« sagte Zukimoto.
»Nein«, sagte Omi. Er verabscheute ihn. »Herr Yabu ist sehr zufrieden, daß Ihr es so gut gemacht habt. Man muß schon sehr geschickt sein, nicht zuviel, gleichzeitig aber doch genug Feuer zu machen.«
»Zu gütig, Omi-san.«
»Ihr habt bereits Übung darin?«
»Nicht in dieser Art. Aber Herr Yabu pflegt mich mit solchen Gunstbeweisen zu beehren. Ich versuche nur, ihm zu gefallen.«
»Er möchte wissen, wie lange dieser Mann noch leben wird.«
»Wenn wir vorsichtig sind, bis zum Morgengrauen.«
Gedankenverloren betrachtete Omi den Kessel. Dann ging er den Strand entlang bis zum Dorfplatz. Alle Samurai erhoben und verneigten sich.
»Alles ist ruhig da unten, Omi-san«, sagte einer von ihnen lachend und wies mit dem Daumen auf die Falltür. »Zuerst haben sie geredet – offenbar waren sie aufgebracht. Und eine kleine Schlägerei hat es auch gegeben. Später dann haben zwei oder auch mehrere von ihnen gewimmert wie Kinder, die sich fürchten. Jetzt aber herrscht schon lange Zeit Ruhe dort unten.«
Omi strengte seine Ohren an. Er vernahm das Schwappen von Wasser und fernes Gemurmel. Gelegentlich auch ein Aufstöhnen. »Und Masijiro?« fragte er. Masijiro war der Samurai, den man auf seinen Befehl hin unten gelassen hatte.
»Keine Ahnung, Omi-san. Gerufen hat er nicht. Wahrscheinlich ist er tot.«
Wie konnte Masijiro sich nur von unbewaffneten Männern überwältigen lassen! Abscheulich! Hoffentlich ist er tot! »Morgen kein Essen und kein Wasser. Gegen Mittag holt die Toten rauf, wenn welche da sind, neh? Und den Anführer will ich auch heraufhaben – allein.«
»Jawohl, Omi-san.«
Omi kehrte zum Feuer zurück und wartete, bis der Barbar die Augen wieder aufmachte. Dann ging er in den Garten und berichtete, was Zukimoto gesagt hatte. Neuerlich wurden die durchdringenden Schreie vom Wind herangetragen.
»Du hast dem Barbaren in die Augen gesehen?«
»Jawohl, Yabu-sama.«
Omi kniete jetzt hinter dem Daimyo, etwa zehn Schritt entfernt. Yabu war regungslos sitzengeblieben. Das Mondlicht warf Schatten auf seinen Kimono und ließ seinen Schwertgriff ragen wie einen Phallus.
»Was – was hast du gesehen?«
»Wahnsinn! Das Wesen des Wahns. Ich habe nie zuvor solche Augen gesehen. Und so grenzenloses Entsetzen.«
Sanft schwebten drei Blütenblätter herab.
»Mach ein Gedicht über ihn!«
Omi versuchte, seinen Geist zum Arbeiten zu zwingen. Dann, wohl wünschend, daß diese Worte angemessener ausgefallen wären, sprach er:
»Seine Augen
waren wie Höhlen der Hölle.
Nichts als Qual –
sprechende Qual.«
Schreie wurden heraufgetragen, schwächer zwar, doch wirkten sie wegen der großen Ferne nur um so schneidender.
Nach einem Moment sprach Yabu:
»Wenn man
ihrer Qual erlaubt.
ganz tief in einen einzudringen,
wird man eins mit ihnen –
sprachlos eins.«
Lange dachte Omi in der Schönheit der Nacht über den Sinn dieser Worte nach.
5. Kapitel
Kurz bevor sich das erste Licht des Morgens zeigte, hatten die Schreie aufgehört. Jetzt schlief Omis Mutter. Und Yabu auch.
Im Dorf hingegen herrschte im Morgengrauen immer noch große Geschäftigkeit. Vier Kanonen mußten noch an Land gebracht werden, fünfzig weitere Pulverfässer und tausend Kanonenkugeln.
Kiku lag unter der Decke und beobachtete die Schatten an der Shoji -Wand. Sie hatte kein Auge zugemacht, obgleich sie erschöpft war wie noch nie. Durchdringendes Schnarchen von der alten Frau nebenan überdeckte den tiefen leisen Atem des Daimyo neben ihr. Der Knabe schlief ohne jeden Laut auf dem anderen Futon. Einen Arm hatte er über die Augen gelegt, um das Licht abzuwehren. Ein leichtes Zittern ging durch Yabu, und Kiku hielt den Atem an. Aber er schlief weiter, und darüber freute sie sich, denn sie wußte, bald würde sie ihn verlassen können, ohne ihn zu stören.
In Gedanken verweilte sie bei dem sinnlichen Vergnügen, welches das Bad, das sie gleich nehmen würde, ihr gewiß bereitete; das würde ihr die Erinnerung an diese Nacht vertreiben. Hinterher würde sie sich dann den entspannenden
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