Shogun
unverzeihlich. Seine Familie hat zur Strafe den Gegenwert von einem Koku Reis zu zahlen – in Form von Fisch, Reis, Korn oder was auch immer. Zahlbar binnen drei Monden.«
Sowohl Mura, der Bauer und Fischer, als auch Omi, der Samurai, wußten, daß diese Summe die Möglichkeiten der Familie bei weitem überstieg. Es waren ja nur das Fischerboot und das eine Reisfeld von einem halben Morgen vorhanden, von denen die drei Tamazaki-Brüder – jetzt freilich nur noch zwei – mit ihren Frauen, vier Söhnen und drei Töchtern, Tamazakis Witwe und seinen drei Kindern lebten. Ein Koku Reis entsprach etwa der Menge, die eine Familie brauchte, um sich ein Jahr am Leben zu erhalten. Es waren etwa fünf Scheffel oder dreihundertundfünfzig Pfund Reis. Sämtliche Einnahmen im ganzen Reiche wurden nach Koku gemessen, die Steuern desgleichen.
Mura überlegte bereits, woher sie diesen Koku Reis nehmen sollten, denn wenn die Familie nicht zahlen konnte, mußte das Dorf dafür aufkommen. Und woher jetzt neue Reissäcke, Netzgarn und neue Netze nehmen? Ein paar ließen sich vielleicht nach der Reise wieder beschaffen. Man würde sich Geld borgen müssen. Der Dorfschulze vom Nachbardorf war ihm noch einen Gefallen schuldig. Ah! Ist nicht Tamazakis älteste Tochter mit ihren sechs Jahren schon eine Schönheit – und ist nicht gerade dieses Alter das beste, sie zu verkaufen? Und ist nicht die beste Kinderhändlerin in ganz Izu eine Base dritten Grades meiner Mutter? – Diese abscheuliche alte Hexe, die so geldgierig ist, daß einem die Haare zu Berge stehen? Mura seufzte. Aber wie dem auch sei, dachte er. Vielleicht bringt das Kind sogar zwei Koku. Wert ist sie bestimmt noch viel mehr. »Ich bitte Euch Tamazakis schlechten Benehmens wegen um Verzeihung. Bitte, vergebt uns«, sagte er.
»Schließlich war er es, der es an gutem Benehmen hat fehlen lassen, nicht du«, erwiderte Omi höflich.
Dennoch wußten beide, daß Mura dafür verantwortlich war und daß es besser keine Vorkommnisse dieser Art mehr geben würde. Trotzdem waren beide zufrieden. Einer hatte um Verzeihung gebeten – sie war angenommen, gleichzeitig aber auch zurückgewiesen worden. Der Ehre beider Männer war Genüge getan. Beim Pier bogen sie um die Ecke und blieben stehen. Omi zögerte, gab Mura dann mit einer Handbewegung zu verstehen, er solle verschwinden. Der Dorfschulze verneigte sich und trollte sich voller Dankbarkeit.
»Ist er tot, Zukimoto?«
»Nein, Omi-san. Er ist nur wieder ohnmächtig geworden.«
Omi trat an den riesigen Eisenkessel heran, den das Dorf benutzte, um den Speck jener Wale zu Tran zu verarbeiten, die sie bisweilen während der Wintermonate weit draußen auf dem Meer fingen, oder um aus Fischresten den Grundstoff für die Leimgewinnung zu kochen, was einen besonderen Erwerbszweig des Dorfes bildete.
Der Barbar war bis zu den Schultern in das dampfende Wasser getaucht. Sein Gesicht war rotviolett, und er bleckte die halbverfaulten Zähne.
Bei Sonnenuntergang hatte Omi Zukimoto zugeschaut, wie er voller Stolz überwachte, wie der Barbar – die Arme um die Knie gebunden, die Hände locker zu den Füßen weisend – in das kalte Wasser gesteckt wurde. Die ganze Zeit über hatte der kleine rothaarige Barbar abwechselnd gebrabbelt, gelacht und geweint, wobei der christliche Priester seine Laute anfangs freilich mit seinen verfluchten Gebeten übertönt hatte. Dann war das Feuer unter dem Kessel entfacht worden. Yabu war nicht unten am Strand gewesen, doch seine Befehle lauteten unmißverständlich und wurden mit größter Gewissenhaftigkeit ausgeführt. Der Barbar hatte angefangen zu schreien und zu wüten, dann versucht, sich den Kopf am Kesselrand zu Brei zu schlagen, bis man ihn daran gehindert hatte. Dann kamen weitere Gebete, war er abwechselnd ohnmächtig geworden, hatte geweint, war wieder zu sich gekommen und hatte geschrien, ehe die Schmerzen dann später richtig eingesetzt hatten. Omi hatte versucht, dem zuzusehen, wie man dem Quälen einer Fliege zusieht, hatte dabei jedoch den Mann nicht angesehen. Aber er hatte es nicht durchgestanden und war bei der ersten Gelegenheit fortgegangen. Dabei hatte er entdeckt, daß ihm Folterungen kein Vergnügen bereiteten. Es lag keine Würde in so einer Folter. Er war aber froh gewesen, eine Gelegenheit gehabt zu haben, diese Wahrheit zu erkennen. Es war nicht nur für den Gefolterten unwürdig, sondern ebenso auch für den Folterknecht. Dem Tod selbst wurde die Würde genommen, und
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