Shooting Stars (German Edition)
an einem Mülleimer vorbeigehe, entschließe ich mich, mein Telefon sofort zu entsorgen.
Ich nehme die Karte heraus und den Akku. Den Akku werde ich in einen anderen Mülleimer werfen. Die Sim werde ich zerbrechen und ins Klo spülen. Ich werde das Hotel wechseln, um sicher zu gehen, dass sie mich nicht auf Anhieb finden. Dass sie nicht heute schon, mitten in der Nacht in mein Zimmer eindringen und mich aus meinem Bett zerren.
Ich muss flüchten. Obwohl ich gar nicht weiß, ob sie schon auf meiner Fährte sind, werde ich zumindest ein Stück weit flüchten müssen. Weit genug, dass sie mich nicht auf Anhieb bekommen.
3
Marian.
Es geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Auch wenn ich jetzt in einem anderen Hotel sitze, in der Nähe des Gare de l’Est, in der Pension Schmitz, auf einem halb wackeligen Bett, das mit einem rauen weißen Laken bedeckt ist, verstehe ich nicht, warum ich sie von meinem Handy aus angerufen habe. Wie ich diesen Fehler begehen habe können. Warum ich so dumm war, ihnen diese Spur zu legen, die nicht nur zu mir, sondern die auch zu ihr führt. Und auf für sie, auf für die Kinder fatale Weise dann auch zu mir. Es lässt mir keine Ruhe, dass auch Marian und die Kinder schon wissen könnten, dass ich es bin, der schießt. Der entscheidet, was er nicht entscheiden dürfte. Weil es nicht vorgesehen ist, dass so jemand wie ich, eine Privatperson, über Leben und Tod entscheidet.
Ich müsste Marian aus der Welt schaffen, denke ich und erschrecke vor der Folgerichtigkeit und der Unmöglichkeit dieses Gedankens. Ich werde das nicht können, aber viel mehr werde ich es nicht wollen. Ich kann das gar nicht wollen. Obwohl ich weiß, dass es richtig wäre, dass es der einzig sichere Weg wäre, kann ich mir nicht vorstellen, Marian zu töten.
Ich müsste sie wegbringen. In ein anderes Land, mitsamt den Kindern. Nur dass sie dabei nicht mitspielen würde. Und warum sollte sie das auch? Warum sollte sie sich von mir aus ihrer Welt, mitsamt den Kindern aus ihrer Welt hinauskatapultieren lassen, wenn ich ihr nichts erkläre? Und es ihr zu erklären, würde auch nichts ändern. Im Gegenteil. Sie würde mich einfach aus dem Haus schicken. Und ich würde gehen. Schweigend gehen, wie ich schon so oft schweigend gegangen bin, wenn Marian mich ihres Zimmers oder aus unserem Haus verwiesen hat. Aus ihrem Haus. Es ist inzwischen ihr Haus. Ich habe es ihr überlassen. Auch wenn die Richterin das bei unserer Scheidung gar nicht fassen konnte, weil sie nicht verstehen konnte, dass ich die Vier-, vielleicht Fünfhunderttausend, die unser gemeinsames Haus wert war, einfach hinter mir gelassen habe. Dass es mir nicht wichtig gewesen ist, diesen Wert in eine der Rechnungen einzubringen, von denen sie wollten, von denen das Gericht, wie man sagt, wollte, dass wir sie anstellen.
Obwohl wir das nicht wollten, mussten wir auf den Cent genau ausrechnen, wer wann was und wie in die Ehe eingebracht hatte. Und wer in dieser Ehe was in welchem Zusammenhang verdient hatte. Um es danach wieder auseinanderzurechnen, wollten sie das wissen. Um unsere Beziehung in bloße Geldbeträge umzurechnen, denke ich heute. Sie auf einen einfachen Nenner zu bringen. Aber weder Marian noch ich wollten diese Rechnung anstellen. Wir hatten uns geeinigt. Die organisatorischen Rahmenbedingungen geklärt, noch bevor es dazu kommen konnte, dass uns Anwälte und Richter in ihre Rechenspiele und Rechthabereien hineinziehen konnten.
Sie haben es immer und immer wieder versucht. Es war schwer, sich herauszuhalten. Aber es gelang uns. Indem ich Marian zwei Millionen überschrieben habe, konnten wir auch die Richter und Anwälte zufriedenstellen. Bestimmt haben wir sie dabei vor den Kopf gestoßen. Habe ich die Richterin vor den Kopf gestoßen mit meiner Aussage, dass mir noch genug bliebe, dass das ja nur Geld sei.
Bloß Geld
.
Aber auch wenn ich sie mit meiner uneingeschränkten Offenheit in Finanzdingen vor den Kopf gestoßen habe, hat die Summe von zwei Millionen die Richterin milde gestimmt. War sie einverstanden mit dem Vergleich. Weil sie wusste, dass diese Summe weit höher war als das, was alle Anwälte der Welt Marian zugesprochen hätten. Sie murmelte ihre Scheidungsformel emotionslos in ihr Diktiergerät und fragte uns beide, ob wir einverstanden wären.
Wir beide haben genickt. Mit mehr oder weniger kräftiger Stimme bekundet, dass wir einverstanden waren. Und damit waren wir ihren zermürbenden Gerechtigkeitsmühlen entgangen.
Wenigstens
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