Shooting Stars (German Edition)
fällt mir schwer. Immer wenn ich mich beruhigt zu haben glaube, schrecke ich wieder auf. Setze mich im Bett auf und starre in diesem kleinen Hotelzimmer ins Halbdunkel. Höre den Autos zu, wie sie durch die Straßen von Paris fahren. Höre Menschen sprechen. Und irgendwo in diesem Hotel mit seinen dünnen, lärmdurchlässigen Wänden schlafen zwei Menschen miteinander. Das halbe Hotel hört das bestimmt, denke ich. Und ich versuche mir die beiden Körper vorzustellen, wie sie sich im Rhythmus ihrer Geräusche ineinander wiegen. Aber nicht einmal das, nicht einmal der Gedanke an ihr Liebesspiel kann mich aus meinem Kopf herausholen und beruhigen. Ich bleibe auf der Bettkante sitzen. Denke nach, denke immer und immer wieder dieselben Gedanken. Ich weiß, dass sie nirgendwohin führen. Aber das macht nicht den geringsten Unterschied.
Ich habe es mit Rotwein versucht. Wie damals im Schlafwagen habe ich auch heute eine halbe Flasche französischen Rotwein getrunken. Doch auch er hilft nicht. Er hat meine Lider schwer gemacht. Die Müdigkeit strahlt in meine Beine. Von Stunde zu Stunde, nein, von Minute zu Minute habe ich das Gefühl, müder zu werden. Wird mein Körper kraftloser und ich nervöser.
Ich bin es, der mich in die Enge treibt. Es sind nicht sie, die mich verfolgen. Ich selbst bin hinter mir her. Es ist bloß meine Angst davor, dass es schon zu Ende sein könnte, die mich so paranoid werden lässt. Es ist immer die eigene Angst, vor der man sich am meisten fürchten sollte. Denke ich. Und es ist immer diese Angst, aus der heraus man Fehler macht. Aus der heraus ich Fehler machen könnte, die viel schwerer wiegen als mein gedankenloses Telefonat mit Marian.
5
Es ist neun Uhr morgens. Ich sitze in meinem Hotel, im Frühstücksraum. Der Kaffee schmeckt fürchterlich und der Orangensaft, den mir der unfreundliche und von der Nacht noch ein wenig nach Alkohol und Zigaretten riechende Kellner in einem kleinen Glas gebracht hat, ist zu kalt, um ihn zu trinken.
Ich muss mich konzentrieren. Ich darf mich nicht mit solchen Nebensächlichkeiten aufhalten, denke ich. Und greife mir eine Zeitung. Le Parisien.
Ich will die Fotos sehen, die Berichterstattung über die Vorbereitungen zum Begräbnis. Aber ich sehe etwas anderes. Denn auch wenn das Begräbnis Thema Nummer eins ist, ist ein zweite Meldung beinahe ebenso mächtig:
Moderator in Schweden erschossen
.
Und dort, denke ich. Ich begreife plötzlich, dass mein Telefon nicht in Schweden war. Ich nicht und damit auch mein Telefon nicht. In Schweden nicht und auch nicht in Paris, denke ich. Gestern schon. Jetzt bin ich in Paris. Aber ich war nicht hier, nicht an dem Tag, als die Bombe explodierte.
Und vielleicht sollte mich das beruhigen. Vielleicht sollte es. Aber es beruhigt mich nicht. Es wird noch dauern, bis ich meinen Fehler verdaut haben werde. Bis ich sicher sein werde, dass ich sie nicht selbst auf die allerdümmste Art zu mir geführt habe.
Gleichzeitig mit der Angst, die mich immer noch vor sich hertreibt, die mich tatsächlich die ganze Nacht nicht hat schlafen lassen, treibt mich ein anderer Gedanke um: Schweden. Ich denke darüber nach, wer das in Schweden getan haben könnte. Und aus welchem Grund.
Frankreich, das Attentat auf Carla, ist das Eine. Ich meine, es führt sie auf die falsche Fährte. Und das tut Schweden auch. Schon alleine, weil ich nicht da war und weil ich tatsächlich nichts mit der Sache in Schweden zu tun habe, stärken die Schüsse auf diesen Moderator meine Position. Aber dadurch, dass ich nicht geschossen habe, weil sie möglicherweise vollkommen andere Ziele mit ihrer Tat verfolgen als ich, schwächt Schweden meine Position auch. Ich dachte, ich kann mich durch meine Schüsse in eine Position der Stärke bringen. Aber im Moment gerade habe ich das Gefühl, dass es egal ist, wie viel ich schießen werde. Dass ich heute und auch morgen und auch übermorgen möglicherweise immer weniger werde ausrichten können. Dass die Schweden, indem sie die Initiative übernommen haben, mir meine Definitionsmacht genommen haben.
6
Es hat begonnen. Das Begräbnis hat begonnen. Und während sie den Sarg langsam in Richtung des Grabes karren, während die Trauerfeier dort stattfindet, wo keine Kameras hinkommen, wo Reporter davon abgehalten werden, Fotos oder Videoaufnahmen zu machen, sendet das Fernsehen Bilder von den Straßen Frankreichs.
Nicht nur in Frankreich, auch in England und in Deutschland haben sich Menschen auf den Straßen
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