Shooting Stars (German Edition)
Die Menschen gehen an mir vorbei, ohne etwas Besonders daran zu finden, dass ich ihnen im Weg stehe. Eine Mutter sieht mich genervt an, weil sie mit ihrem Kinderwagen um mich herumfahren muss. Lieber hätte sie mich umgefahren, denke ich. Und erinnere mich daran, wie auch ich mit dem Kinderwagen diese Leute, die praktisch immer irgendwo im Weg stehen, gerne angefahren hätte.
Geh doch einen Schritt zur Seite, du Arsch
, fuhr es mir so oft durch den Kopf. Und einmal habe ich das sogar gesagt. In einer kleinen Stadt, ich weiß nicht mehr, wo. Im Sommer. Nachdem Marian und ich uns wieder einmal gestritten hatten. Sie mir vorgeworfen hatte, dass ich mich nicht kümmere. Und ich nichts dagegen machen konnte, dass die Kinder sich an sie klammerten. Immer haben sie sich an Marian geklammert, denke ich. Hielten sie Distanz zu mir. Zu ihrem Vater, den sie zwar Papa nannten, in dessen Arme sie sich flüchteten, wenn Mama nicht da war. Aber wenn sie da war, war es immer Marian, die ihnen den sicheren Hafen bot. Sie ist eine Insel, die den Kindern vorgibt, sie vor allen Unglücken beschützen zu können. Nein. Es ist nicht Marian, die irgendetwas vorgibt. Es sind Lukas und Elfi, die vermutlich immer noch glauben, vielleicht nicht zu 100 Prozent, aber doch fest glauben die beiden daran, dass Marian sie vor allen Gefahren und Schrecken beschützen kann.
Es waren die Ausflüge. Immer dann, wenn wir uns vorgenommen hatten, gemeinsam etwas Schönes zu erleben, ging alles erst richtig schief. Wir bäumten uns dagegen auf. Zumindest ich tat alles, was ich konnte, um Marian zu entlasten, um ihr die Kinder auf diesen Ausflügen abzunehmen. Trotzdem quengelten sie Marian an, wenn sie Durst hatten oder Hunger, oder wenn ihnen langweilig war. Sie gingen nicht mir auf die Nerven, sondern Marian. Und dann, es war jedes Mal bloß eine Frage der Zeit, bis auch ich Marian auf die Nerven ging. Weil ich sie nicht unterstützen konnte. Oder das gar nicht wollte. Wie sie es immer wieder formulierte.
Da bleibe ich lieber gleich allein
, warf sie mir einmal an den Kopf. In dieser Fußgängerzone, ich glaube, in Freiburg.
Dann ist alles viel einfacher
, hat sie gesagt. Und ich fühle noch heute, welchen Schlag sie mir damit versetzt hat.
Töten, denke ich, war mir egal. Beinahe immer. Aber dass ich Marian jedes Mal wieder enttäuschte, trieb mich in die Verzweiflung. Ich fühlte mich schuldig. Ich war schuld an ihrem Unglück. An unserem Unglück, das ich außerstande war, aus der Welt zu schaffen.
Ich gehe in Richtung Boulevard Sevastopol und mit jedem Schritt werde ich wütender. Ich trete den Zorn in den Asphalt. Ich weiß, dass ich nichts unternehmen kann. Ich habe den Moment verpasst. Sie haben ihn mir genommen. Irgendjemand in Schweden durchkreuzt meine Pläne. Zwingt mich, zu reagieren statt zu agieren.
Das ist nicht gut.
Man darf sich in einem Kampf nie dazu bringen lassen, nur mehr reagieren zu können
.
8
Das Manifest, das von Schweden aus in die Welt geschickt wurde. Man kann es sich aus dem Internet herunterladen und lesen. Vielleicht nicht mehr lange. Vielleicht werden sie es schaffen, dieses Manifest wieder zum Verschwinden zu bringen. Aber für mich ist es zu spät. Ich kann, will und ich werde nicht der Trittbrettfahrer sein.
Dennoch: Dass es irgendjemand in Schweden war, der diese Botschaft in die Welt geschickt hat, verschafft mir ganz neue Freiheiten. Mit meinem Manifest hätte ich mich eingeengt und angreifbar gemacht. So aber werden sie sich auf die Schweden konzentrieren. Auf die Franzosen und die Schweden. Ich kann handeln und das Netz, das sie um mich herum spinnen, wird sich nicht wesentlich enger ziehen. Nicht im Moment.
Ein Ultimatum.
Der Schwede oder die Schweden, die den Moderator erschossen haben, verlangen, dass die Werbung aus dem Fernsehen verschwindet. Sie wollen die Medien reinigen, schreiben sie. Sie wollen die Konzerne aus unseren Hirnen werfen, schreiben sie. Und verlangen, dass das binnen zwei Wochen passiert. Dass Werbeeinschaltungen und Product-Placements binnen zwei Wochen aus dem Fernsehen verschwinden.
Sie haben eine Liste veröffentlicht mit den Namen derer, die als nächstes an der Reihe sein werden. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das ernst meinen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie wirklich diese Liste abarbeiten werden, sondern glaube, dass diese Reihe von Namen bloß eine Ablenkung ist. Dass sie alle Kraft der Behörden darauf lenken wollen, die Menschen, die auf ihrer Liste
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