Shooting Stars (German Edition)
Hause war, dass er einmal einen ganzen Monat oder mehr auf
Geschäftsreise
gewesen war und dass ich Mutter, als er mit zwei großen Koffern in der Hand wieder durch unsere breite glasdurchsetzte Eichendoppeltüre nach Hause gekommen war, nicht verstanden hatte. Ihre Reserviertheit. Ihre kühle Abweisung, die in so großem Gegensatz zu meiner Freude stand, mit der ich ihn begrüßte, Vater, den sie vermutlich am liebsten nicht mehr an ihrer Seite in unserem Haus willkommen geheißen hätte.
Ich frage mich, ob es dieses Gefühl ist, diese längst verloren geglaubte Sicherheit, die Welt doch im Griff haben zu können, die ich immer dann spüre, wenn ich mein Gewehr in die Hand nehme. Wenn ich schieße und mein Finger am Abzug eine Endgültigkeit herstellt. Wenn das Projektil, das in einen Körper eindringt, die Welt für den Bruchteil einer Sekunde anhält. Wenn alles kurz zum Stillstand kommt, während das Geschoss eine Schutzweste oder einen Körper durchschlägt.
Aber dann, ein paar Sekunden nach dem Schuss ist es wieder weg, dieses Gefühl. Die Macht, die man für ein paar Momente über Zeit und Raum auszuüben glaubt und die wieder verschwindet, sobald man reagieren muss, sobald man sich auf den nächsten Schuss vorbereitet oder wenn man damit beginnt sich zurückzuziehen.
Ich habe noch Zeit. Bevor ich mir ein Hotel suchen werde und ein Restaurant, spaziere ich an den großen Gebäuden neben dem Dom vorbei und in eine Einkaufsstraße hinein. Nichts hier deutet darauf hin, dass die Gesellschaft attackiert wird. Dass ich sie gerade attackiere. Und das ist das größte Wagnis, denke ich. Ich wusste nicht, was auf mich zukommen würde. Bevor ich den ersten Schuss gesetzt hatte, war mir nicht klar gewesen, welche Möglichkeiten sie haben. Ich konnte mir einige vorstellen, aber bei weitem nicht alle. Und ich kenne sie auch heute nicht. Ich weiß, dass es unter der Oberfläche dieser Einkaufsstraße rumort. Dass die Erde bebt, ganz leise bebt und vielleicht wird dieses nervöse Zittern unter der Oberfläche stärker werden. Wird sich der Boden wölben und die Welt aufbrechen wie eine reife Frucht. Werden die Polizisten, die heute durch diese Einkaufsstraße patrouillieren, nicht das einzige durch die alltägliche Banalität hindurch sichtbare Zeichen sein, das mein Angriff auf die Gesellschaft hinterlässt.
Ich beobachte, wie Menschen in Geschäfte und Boutiquen hineingehen und wie andere wieder aus ihnen herauskommen. Ich sehe in die Gesichter derjenigen, die mit Einkäufen, und die Gesichter derjenigen, die ohne Einkäufe aus den Läden herauskommen. In den meisten Fällen kann ich keinen Unterschied zwischen ihnen entdecken. Nur durch den Blick auf ihre Hände, auf die Einkaufstüten, die sie mit sich herumtragen, aber nicht durch etwas, das ich an ihnen sehe, kann ich feststellen, ob sie bekommen haben, was sie wollen. Und ein wenig kommt es mir gerade vor, als ob all diese Menschen hier nicht Dinge für sich selbst kaufen, sondern bloß Botengänge für sich selbst erledigen würden.
Ich bin in meinem Hotel. Nach ein oder zwei Stunden in der Innenstadt ging ich in ein kleines, von außen sympathisch aussehendes Hotel. Ich unterhielt mich kurz mit dem freundlichen Rezeptionisten, der mir ein geräumiges Zimmer in der obersten Etage des vierstöckigen Hauses zuwies. Und nur weil ich mich gerade sehr sicher fühle, kann ich mich hier, im obersten Stockwerk, von dem aus man auf keinen Fall flüchten kann, auch wohlfühlen. Konnte ich mir in aller Ruhe ein Bier aus der Minibar nehmen. Es ist das erste Bier, das ich trinke, seit ich zurück nach Deutschland gekommen bin. Ich freue mich auf den ersten schäumenden Schluck. Die Dose liegt eiskalt in meiner Hand. Es hat die richtige Temperatur. Dieses eiskalte deutsche Bier, das ich mir in Florida nie gönne, weil es mir nicht wichtig genug ist, weil es am Ende egal ist, welches Bier man trinkt, denke ich, und statt mich beim ersten Schluck wirklich auf die herbeigesehnte Schaumexplosion in meinem Mund zu konzentrieren, den kühlen, herben Flüssigkeitsschwall in meiner Kehle zu genießen, entgleiten mir meine Gedanken wieder. Nein, denke ich. Sie entgleiten mir nicht, vielmehr konzentriert sich mein Geist nicht mehr auf all die Nebensächlichkeiten, sondern auf mein nächstes Ziel. Der nächste Schritt beginnt, denke ich. Er vollzieht sich in mir, ohne dass ich mich motivieren muss. Und es ist die Freude darüber, dass es morgen weitergehen wird, die sich in mir
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