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Shooting Stars (German Edition)

Shooting Stars (German Edition)

Titel: Shooting Stars (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mandler
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verkörpern, kaputtzuschießen. Denn diese Körper sind es, die den Bildern ihre übergroße Macht verleihen. Diese übermächtigen und niederträchtigen Bilder können nur aus menschlichen Körpern geboren werden, weil nur der menschliche Körper in der Lage ist, uns so direkt zu erreichen, sich in unsere Persönlichkeiten zu stehlen, ohne dass wir es verhindern können, weil uns kein Bild der Welt so direkt berührt wie das Bild eines Menschen.
    Nur alleine, alleine kann ich das nicht. Und es ist gerade deshalb, dass ich mich über Schweden freuen sollte. Dass, auch wenn meine Botschaft im Moment in den Hintergrund gedrängt wurde, etwas ins Rollen kommt, von dem ich nicht wusste, ob ich es jemals in Bewegung bringen könnte. Weil ich nicht wusste, weil ich auch heute noch nicht weiß, ob ich mich nicht vielleicht doch irre. Ob es überhaupt möglich ist, die Menschen zu mobilisieren. Den herrschenden Unmut zu kanalisieren und ihn gegen die Bilder zu richten. Nicht gegen die Macher oder Verkäufer, sondern gegen die Körper, die den Bildern erst ihre Gewalt verleihen.

FÜNF

1
    Köln. Ich bin schon wieder in Köln. Weil ich nichts anderes mit mir anzufangen weiß, als mir meine Zeit hier zu vertreiben, spaziere ich durch die Innenstadt. Die Menschen drängen aneinander vorbei. Und ich weiß, dass die Frage, woher sie kommen, dass es sinnlos ist, mich zu fragen, was sie antreibt. Sie war immer schon sinnlos und ich werde sie nie beantworten können, diese Frage ins Ungefähre hinein. Und doch werde ich sie mir immer und immer wieder stellen. Weil ich mir unter vielen Menschen, wenn mehr als zehn, vielleicht zwanzig Leute sich in einer bloß von mir vorgestellten, in Wahrheit vermutlich nie oder nur in den seltensten Fällen wirklich bestehenden Gruppe mir entgegenstellen, wenn sie auf mich zu und an mir vorbeigehen, komme ich mir immer verloren vor und werde mir immer und immer wieder Geschichten darüber erzählen, wer sie sind und was ihr Leben ausmacht. Oder vielleicht, denke ich, vielleicht geht es gar nicht darum, dass ich mir verloren vorkomme, sondern ich stelle all diese Überlegungen bloß aus einem Reflex heraus an, aus einer mir anerzogenen Gewohnheit heraus, die ich mir in der kleinen Gesellschaft angeeignet habe, in der ich einen guten Teil meiner Kindheit verbracht habe. Es waren immer dieselben Menschen aufgetaucht in dieser Gesellschaft. Sie waren gekommen, um ein paar Stunden später wieder nach Hause zu fahren. In ein Zuhause, das ich in den allermeisten Fällen kannte, in dem auch ich schon zu Besuch gewesen war, in das ich immer wieder auf Besuch fuhr, gemeinsam mit meinen Eltern, manchmal auch bloß mit meiner Mutter, wenn Vater zu viel zu tun hatte, wenn er wieder einmal zu viel zu tun hatte, was umso öfter vorkam, je älter ich wurde.
    Und beinahe, vielleicht nicht nur beinahe, sondern vielleicht kann man in so einer kleinen Gesellschaft wie der, in der ich aufgewachsen bin, tatsächlich das Gefühl haben, die Welt in den Griff zu bekommen. Denke ich. Und frage mich, ob es überhaupt jemals da gewesen ist, dieses Gefühl, all die Dinge der Welt in ein fixes System integrieren und damit unter Kontrolle bringen zu können.
    Es muss einen Tag gegeben haben, von dem an ich es nicht mehr wie eine Selbstverständlichkeit mit mir herumgetragen habe. Vielleicht ist es mir in derselben Zeit und auf dieselbe Weise abhandengekommen, wie meinen Eltern ihre Liebe abhandengekommen ist. Vielleicht ist das passiert, als ich zu verstehen begonnen habe, dass sie sich nicht mehr verstehen. Dass sie, auch wenn sie sich beinahe jeden Tag sahen, auch wenn sie zusammen frühstückten und die Themen des Alltages ohne sich zu streiten miteinander abhandeln konnten, aufgehört hatten, sich zu lieben.
    Sie bekamen sich selten in die Haare. Und trotz ihres sorgsam gepflegten Respekts füreinander entstand über die Jahre eine beinahe unüberbrückbare Distanz zwischen ihnen. War es irgendwann nur mehr eine kühle, höfliche Freundlichkeit, die sie davon abhielt, sich gegenseitig die über viele Jahre zugefügten Verletzungen immer und immer wieder aufs Neue an den Kopf zu werfen.
    Und ich weiß, dass meine Eltern Dinge bewältigt haben, die ich so nicht hätte bewältigen können. Im Nachhinein habe ich von den Affären meiner Mutter erfahren, habe ein paar Kurzzeitliebschaften meines Vaters verstanden, erinnere ich mich an Zeiten, in denen er so viel zu tun hatte, dass er in der Woche höchstens einen Abend lang zu

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