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Shotgun Lovesongs

Shotgun Lovesongs

Titel: Shotgun Lovesongs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nickolas Butler
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getan, als zu versagen? Ich habe bei Felicia versagt, bei Leland,beim armen alten Harvey. Und jetzt auch noch bei der Mühle. Um Gottes willen. Wer bin ich nur?
    Die Sonne geht auf. Bald werden die ersten Kunden in die Mühle kommen. Lee konnte früher Musik in den Sonnenuntergängen hören. Jazz. Das hab ich nie verstanden. Und die Sonnenaufgänge? Ich glaube nicht, dass ein Sonnenaufgang einen musikalischen Klang hat. In meinen Augen ist er wie eine wunderschöne Frau, die beim Aufwachen gähnt. Oder vielleicht – ich weiß auch nicht – wie ein Baby. Ein Baby, das seine Augen öffnet. Vielleicht ja auch beides. Was auch immer es sein mag, ich habe mehr und mehr das Gefühl, als verdiente ich keinen weiteren Tag, keine weitere Morgendämmerung wie diese hier.

Wir schauten dem Blizzard zu, wie er beim Wetterbericht im Fernsehen über den Bildschirm kroch. Es sah aus wie eine Invasion von Aliens: ein riesiger weißer Klecks, der sich langsam von Oklahoma bis nach Ontario bewegte. Aber die Hauptkraft des Sturms ging genau in unsere Richtung, genau nach Wisconsin. Im Fernsehen wurden Bilder davon gezeigt, wie die Orte aussahen, durch die der Blizzard gezogen war. Straßen in Iowa City, die vollkommen unterm Schnee vergraben lagen, und umgestürzte Telefonmasten in Lincoln, Nebraska. In Pierre, South Dakota, war das Vieh am Boden festgefroren und außerhalb von St. Louis, Missouri, hatte es eine Massenkarambolage mit vierzig Autos gegeben. Die Wetterfrau trug eine sehr gelbe Bluse, während sie uns mitteilte, dass der Sturm am Samstag, den 5. Januar zuschlagen würde – an genau dem Tag, an dem meine Hochzeit mit Miss Lucinda Barnes geplant war.
    An dem Freitagnachmittag vor der Hochzeit fuhr Lee mit mir nach Eau Claire, zu dem Männerbekleidungsgeschäft in dem kleinen Einkaufszentrum am Hastings Way. Es liegt in der Nähe des Army-Stores und des pleitegegangenen Chinarestaurants, das wie eine rote Pagode aussieht. Wir fuhren hin, um unsere Smokings abzuholen und um sicherzugehen, dass auch alles passte. Lucy wollte, dass Lee und ich genau die gleichen Smokings trugen, aber ich bestanddarauf, mir meine eigenen Hochzeitssachen auszusuchen. Ich wollte nämlich auf jeden Fall ein neues Paar Cowboystiefel tragen und die türkisfarbene Bolotie, die mein Dad bei einem Familienausflug nach Albuquerque gekauft hatte. Ich lächelte mir im Spiegel zu und prüfte, wie ich aussah.
    Wir aßen zusammen zu Mittag, in Lees Lieblingsrestaurant, dem Chicken Unlimited, das direkt um die Ecke lag. Das war der letzte Laden, den es noch an der alten Landstraße gab. Die anderen waren alle pleitegegangen, seit man vor langer Zeit die Umgehungsstraße gebaut hatte. Wir saßen auf roten Barhockern und aßen Pommes und Hähnchenburger und Quarkbällchen. Wir schlürften unsere Limonade und er las mir Artikel aus ein paar alten Ausgaben von Sports Illustrated vor.
    Nach dem Essen fuhr Lee uns zu der Bowlingbahn. Lee kann echt ums Verrecken nicht bowlen, er ist superschlecht darin – das ist er wirklich. Er schaffte es auf eine Punktezahl von hunderteins und ich auf zweihundertfünfzehn. Aber es machte Spaß. Die Bowlingbahn war fast menschenleer und wir nahmen an, dass es an dem Blizzard lag, der in unsere Richtung zog, und dass die Leute alle in den Supermärkten waren, um sich mit Essen und anderem Zeugs einzudecken.
    »Du lieber Gott«, sagte Lee. »Man könnte meinen, es sei ein Hurrikan unterwegs, so wie die Leute sich aufführen. Wir sind in Wisconsin , verdammt noch mal.«
    »Lucy macht sich Sorgen wegen der Hochzeit«, sagte ich. »Sie hat Angst, die Leute würden vielleicht nicht nach Little Wing fahren wollen oder ihre Flüge könnten über Minnesota aufgehalten werden.«
    »Ach, was soll’s«, sagte Lee. »Das Wichtigste ist, dass ihrheiratet. Stimmt’s, Kumpel? Ich werde da sein. Und Kip und Felicia. Und Eddy. Und die Girouxs. Und Beth und die Kinder.«
    »Und Henry.«
    Lee nickte und rollte eine Bowlingkugel in den Händen hin und her. »Ja, Henry auch.«
    »Vielleicht sollten wir jetzt zurückfahren«, sagte ich. »Wir müssen ja nicht zwei Spiele spielen. Lass uns heimfahren.« Draußen wurde der Himmel grau.
    Auf dem Weg zurück nach Little Wing fuhr Lee sehr langsam, nahm irgendwelche Seitenstraßen und schaute immer wieder durch die Windschutzscheibe nach oben in den Himmel.
    »Es wird ziemlich dunkel da draußen«, sagte er.
    Ich fragte mich, was Lucy wohl in diesem Augenblick tat, ob sie ihre Hände auf ihren Bauch

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