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Shotgun Lovesongs

Shotgun Lovesongs

Titel: Shotgun Lovesongs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nickolas Butler
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jetzt unten in der Stadt und da habe ich mich gefragt, ob Sie vielleicht Zeit hätten, mit uns zu Mittag zu essen.«
    Ich schaute aus dem Fenster. Der Blick war unendlich.
    »Mr Bunyan«, begann ich, »ich –«
    Ich konnte hören, wie trockene Hände über den Telefonhörer rieben, oder vielleicht war es ja auch Kleidung, dann ein Murmeln, eine höfliche Auseinandersetzung.
    »Mr Bunyan?«
    »Hallo«, sagte eine andere Stimme plötzlich. »Hier spricht Edith Bunyan. Ist dort Mr Cunningham?«
    »Ah, ja. Hallo, Mrs Bunyan. Wie kann ich Ihnen helfen?«
    »Nun, es mag ja nicht besonders klug sein, aber ich lege einfach mal Harveys Karten alle auf den Tisch, sozusagen. Sie sind wahrscheinlich ein wenig irritiert und ich glaube, ich kann Ihnen da ein bisschen Zeit sparen. Also. Harvey schwört, Sie würden unserem Sohn sehr ähnlich sehen, unserem Thomas. Er schwört es. Er sagt, Sie beide könnten Brüder sein.«
    »Entschuldigung?«
    »Thomas ist im Irak umgekommen. In Falludscha. Eine Sprengbombe am Straßenrand. Das ist unserem Jungen passiert. Thomas. Dem, dem Sie so ähnlich sehen.«
    »Entschuldigen Sie, aber ich habe eine ganze Reihe von Anrufen in der Leitung, die auf mich warten, und Sie wissen ja, wie das so ist, die Börse macht keine Pause. Ich kann nicht, ich kann mir nicht einfach so den Nachmittag freinehmen, es tut mir leid, aber ich kenne Ihren Mann ja eigentlich gar nicht …«
    »Harvey.«
    »Ja, Harvey. Natürlich bedaure ich Ihren Verlust zutiefst, aber, nun ja, wir sind uns nur dieses eine Mal begegnet und er schien ja auch ein sehr netter Mann zu sein, und so …«
    »Harvey Bunyan. Sie haben ihm Ihre Visitenkarte gegeben.«
    »Ja, das stimmt, aber …«
    »Hören Sie«, sagte sie und senkte ihre Stimme. »Thomas war unser einziges Kind. Er hatte einen Job in Chicago. An der Rohstoffbörse. Genau wie Sie. Ist an die Northwestern University gegangen. Er war ein sehr intelligenter Junge. Hat sein Studium damit finanziert, dass er in die Armeeeintrat. Und eines Tages wird er einberufen und dann ist er plötzlich einfach weg. Und Harvey, nun ja, er will es einfach nicht akzeptieren.« Sie hielt inne. »Ich bitte Sie, könnten Sie uns nicht wenigstens kurz zum Mittagessen treffen? Eine Dreiviertelstunde. Wir laden Sie ein. Ich glaube, er ist einfach nur einsam. Wie schon gesagt, Sie erinnern ihn an Thomas. Sie müssen ein sehr netter Mann sein.«
    Denise stand auf der Türschwelle meines Büros und warf mir einen besorgten Blick zu.
    »Wo genau sind Sie beide denn gerade?«
    Wir trafen uns im Giordano’s, einer Pizzeria im Chicago-Stil, in der sich die Touristen stapelten. Sie standen an der Tür, Harvey und Edith. Zwei Leute, die älter waren als meine eigenen Eltern und sehr steif wirkten, mit ihren Rockport-Wanderschuhen, gebügelten Hosen und Windjacken. Harvey sah älter und gebrechlicher aus, als ich ihn in Erinnerung hatte. Er strich sich andauernd mit seinen dicken Fingern durch das schüttere Haar und seine feuchten Augen huschten die ganze Zeit an mir auf und ab und dann über die wild dekorierten Wände des Restaurants, die Schar der Gäste und die jungen Kellner. Edith war mollig, hatte dicke, schwabbelige Arme, dünne Lippen und eine riesige Handtasche, die an ihrem fleischigen Ellbogen hing. Ich beschloss, mich einfach zu entspannen, mir die Stunde irgendwie zu vertreiben, ihnen den Gefallen zu tun – zwei alte Leute und ich, das gespenstische Echo ihres armen toten Sohnes.
    Wir aßen Pizza und nippten an unseren Cola-Gläsern. Sie stellten mir Fragen zu meiner Arbeit, wollten wissen, wo mein Büro war, und nickten anerkennend. Harvey blinzelte zu mir hoch und schaute sich dann im Raum um, indem ein einziges Stimmengewirr herrschte. »Hier ist wirklich viel los«, sagte er. Edith erzählte von ihrer kleinen Farm, davon, dass sie darüber nachdachten, sie zu verkaufen und sich dann einen Wohnwagen anzuschaffen, mit dem sie über die Landstraßen im Südwesten des Landes fahren würden. Ich stellte mir vor, wie ihre Arme vom Sonnenbrand ganz rot wurden, wie sie sich Zinksalbe auf ihren Nasenrücken schmierte und ihre Augen hinter einer riesigen Sonnenbrille aus dem Drugstore versteckte. Und Harvey, der die ganze Zeit nur an die verkaufte Farm denken, sich über die Benzinpreise beschweren und an allen Reisezielen zunächst einmal die Stirn runzeln und die Arme über der Brust verschränken würde.
    »Sie sehen Thomas wirklich sehr ähnlich«, sagte Edith. »Zuerst habe ich es nicht

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