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Shotgun Lovesongs

Shotgun Lovesongs

Titel: Shotgun Lovesongs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nickolas Butler
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gesehen. Aber jetzt schon. Wenn Sie ungeduldig werden, wissen Sie, dann reiben Sie Ihre Hände genauso zusammen, wie er es tat. Und Ihre Ohren, die sind auch die gleichen.« Sie tätschelte Harveys Arm. »So was, so was.«
    »Tja, also«, sagte ich, »ich würde Sie gerne einladen, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Es war mir eine Freude. Wirklich. Und Sie sind eingeladen, keine Widerrede.« Ich hatte sie schließlich tatsächlich eingeladen.
    »Oh«, sagte Edith und wühlte in den Tiefen ihrer Handtasche nach ihrem Portemonnaie. »Das kommt überhaupt nicht in Frage.«
    »Nein, nein, nein«, sagte ich und steckte einer vorbeikommenden Kellnerin schnell meine Kreditkarte zu. Sie nahm sie entgegen, als handelte es sich um einen Stab im Staffellauf. Die Stunde war schneller vorübergegangen, als ich erwartet hatte. »Ehrlich. Das war eine nette Überraschung. Eine sehr angenehme Pause von der Arbeit.«
    Als wir draußen vor dem Restaurant standen, im Begriff, uns zu verabschieden, überraschte mich Edith damit, dass sie mich lange umarmte. Sie drückte ihren Körper fest gegen meinen und der süßliche Geruch ihres Parfüms war fast mehr, als ich ertragen konnte. Und dann hielt mir Harvey, der mir nie direkt in die Augen sah, seine trockene alte Hand hin, schüttelte die meine und sagte: »Ich bin mir sicher, wenn Sie die Gelegenheit dazu gehabt hätten, dann wären Sie und mein Junge bestimmt gute Freunde geworden. Er war genau wie Sie. Stark. Klug. Höflich.« Er legte eine Hand auf meinen linken Oberarm und drückte ihn kurz. Er konnte mich nicht ansehen und ich hörte, wie ihm die Stimme brach. Der Lärm des Verkehrs war plötzlich viel zu laut, viel zu wild. Die beiden sahen ganz verloren aus in dieser Stadt. Sie schienen sich fast zu ducken, standen dort mit hängenden Schultern und hatten doch ein stolzes, feierliches Lächeln im Gesicht. Ich schaute hinunter auf mein Mobiltelefon, selbst unsicher, wohin ich meinen Blick wenden sollte.
    »Also, wann ist die Hochzeit?«, fragte ich.
    »Heute Abend«, sagte Harvey. »Die Tochter meiner Schwester.«
    »Und wann fahren Sie beide wieder nach Hause?«
    Fußgänger drängten sich an uns vorbei. Leute mit Koffern und Rolltaschen, Leute, die laut in ihre Handys schrien, Leute, die joggten.
    »Morgen«, sagten sie gleichzeitig. Und dann sagte Harvey: »Morgen früh. Wir werden versuchen, ganz früh loszufahren.«
    Ich nickte.
    »Also, hören Sie«, sagte ich und dachte nicht darüber nach, was ich im Begriff war auszusprechen, anzubieten.»Vielleicht möchten Sie ja morgen früh bei mir vorbeischauen, bevor Sie losfahren. Ich mache Ihnen was zum Frühstück. Dann müssen Sie nicht so viel Geld für einen teuren Brunch in der Großstadt ausgeben. Ich wohne im John-Hancock-Gebäude. Kommen Sie doch einfach vorbei. Ich habe da oben eine tolle Aussicht. Und Sie können mir dann noch mehr über Ihren Thomas erzählen.« Es fühlte sich irgendwie gut an, gut und richtig. Diese armen alten Leutchen. Ich hatte so etwas noch nie getan und auch seitdem nicht wieder, bis jetzt vielleicht.
    Das Lächeln auf ihren Gesichtern verwandelte sich in ein Strahlen. Ich schrieb meine Adresse auf einen Zettel und winkte ihnen schnell zum Abschied, bevor Edith meine Wange mit noch mehr Lippenstift beschmieren oder meine Kleider mit ihrem Parfüm tränken konnte.
    Sie kamen am nächsten Morgen tatsächlich zum Frühstück und blieben bis kurz nach Mittag. Wir tranken zwei Kannen Kaffee und Harvey lief durch mein Apartment, immer in sicherer Distanz zu den großen Fenstern, die von der Decke bis zum Boden reichten. Edith saß an meinem Esstisch und zeigte mir Fotos von Thomas, in einem kleinen Fotoalbum, das sie in ihrer Handtasche mit sich trug. Er sah mir wirklich ähnlich. Das war irgendwie verstörend. Die gleichen Haare, die gleichen Augen, das Gesicht, der Körperbau. Auf den Bildern sah es so aus, als würde er sogar dieselben Kleidermarken bevorzugen wie ich und auch das gleiche Bier in der Hand halten, das ich immer trank. Auf vielen der Fotos war er in denselben Bars und Restaurants in Chicago zu sehen, die auch ich regelmäßig besuchte.
    »Haben Sie noch weitere Kinder?«, fragte ich und schauteEdith dabei nicht an. Ich wusste schon im Voraus, wie die Antwort lauten würde.
    »Nein«, sagte Harvey vom anderen Ende des Raumes.
    Sie schloss das Album und steckte es sorgfältig wieder zurück in ihre Tasche. Dann schien sie sich tief in ihrem Stuhl verkriechen zu wollen und schloss für

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