Shotgun Lovesongs
gelegt hatte oder das Baby sie gerade trat. Ich dachte an meine eigenen Eltern und wünschte mir, sie wären noch am Leben und dass sie bei meinem Hochzeitstag dabei sein könnten.
»Also«, sagte Lee. »Deine letzten Stunden als Junggeselle.« Er schaute mich über die Sitzbank hinweg an. »Irgendwelche letzten Wünsche?«
Die ganze Landschaft war mit einer Schicht Neuschnee bedeckt. Die Sonne hatte sich schon schlafen gelegt. Lee schaltete die Scheinwerfer ein, obwohl es gerade mal vier Uhr nachmittags war. Er war ein guter Autofahrer, fuhr langsam und vorsichtig.
»Weißt du, was ich mir wünsche?«
»Nein.«
»Ich würde wahnsinnig gerne wissen, warum du und Henry, warum ihr nicht mehr miteinander redet.«
Lee nahm für einen Moment seinen Blick von der Straße und schaute in den Rückspiegel. Es war kein anderes Auto in Sicht und auch kein Schneepflug oder Streulaster. Das hatte ich schon gesehen. Wir waren ganz allein dort draußen auf der Landstraße.
»Weil es sich nämlich einfach nicht richtig anfühlt, Lee. Da ist doch was faul. Ihr zwei geht euch total aus dem Weg.«
Es stimmte. Ich wusste nicht, was es war, aber irgendwas hatte sich zwischen sie geschoben, wie ein Keil, und wenn wir uns alle trafen, dann sah es immer so aus, als würden sich die beiden so weit wie möglich voneinander entfernen, sich in die entgegengesetzten Ecken des Raumes zurückziehen. Sie rissen keine Witze mehr. Sie trafen sich nicht mehr, wie sie es früher immer getan hatten. Damals waren sie so eng befreundet wie zwei Pferde, die im Stall die Schultern aneinanderreiben. Sie unterhielten sich hinter vorgehaltener Hand und lachten auf eine Weise, dass man sich immer wünschte, man könnte mitlachen.
»Geht’s um Geld?«, fragte ich.
»Nein«, sagte Lee streng. »Wir reden nie über Geld.« Er schaute mich an, damit ich sehen konnte, dass er wütend war, und das nicht nur auf Henry. »Das weißt du doch.«
»Ziehst du denn wieder weg von hier?«
»Nein. Ich bleibe. Ich gehe jetzt nirgendwo mehr hin«, sagte Lee.
Ich hatte noch nicht gewusst, wie ich es ihm sagen sollte, aber Lucy und ich, wir gingen weg. Im Frühling würden wir nach Chicago ziehen, in eine Gegend namens Bucktown. Das ist nicht weit von Wrigley Field, glaube ich. Lucy war mit Lees Exfrau Chloe in Kontakt geblieben. Chloe mochte Lucy, wie sich herausstellte. Sie hat ihr einenJob bei irgendeiner Tanzcompany da unten verschafft. Lucy würde im Büro arbeiten, Anrufe annehmen oder so was, aber das war immerhin schon mal ein Anfang. Ein Fuß in der Tür. Ich wollte nicht, dass sie weiter als Stripperin auftrat, und sie wollte das auch nicht mehr, weil ja bald das Baby da sein würde. Wir würden eine Familie sein, ganz normale Menschen, so wie alle anderen auch.
Lucy wusste, dass ich immer weggewollt hatte. Sie dachte, das hier sei vielleicht unsere Chance, es wirklich wahrzumachen und in unserem Leben etwas zu ändern. Mal etwas anderes zu versuchen. Sie hatte schon seit Jahren Geld gespart. Sie hat gesagt, ich könnte ja mit dem Baby zu Hause bleiben, während sie arbeitet. Sie hat gesagt, dass wenn wir erst einmal das Baby haben und nicht gleich versuchen wegzugehen, es uns ganz leicht passieren könnte, dass wir für immer hier hängenbleiben. Und sie wusste, dass ich mich hier so fühlte wie in einer Falle.
»Ich will ja nur, dass sich alle wieder vertragen.«
»Ronny, das ist nicht immer ganz so einfach.«
»Hast du was falsch gemacht oder er?«
Lee schaute geradeaus. »Ich denke, das war ich.«
»Dann entschuldige dich. Sag, dass es dir leidtut.«
»Na ja, wir reden grad nicht so besonders viel miteinander, Henry und ich.«
Ich dachte einen Moment lang nach.
»Ich weiß ja nicht, ob du mir schon ein Hochzeitsgeschenk besorgt hast oder so, aber wenn nicht, dann gibt’s da was, was du für mich tun könntest.«
Lee schwieg. Seine Knöchel waren weiß. Er schnürte seine Hände immer wieder ganz fest um das Lenkrad. Es sah aus, als würde er versuchen, es in Stücke zu brechen.
»Du könntest dich bei ihm entschuldigen. Das wäre dann dein Geschenk für mich.«
»Das ist alles, was du haben willst?«
»Na ja, ich meine, wenn du Lucy und mir noch zwei Flugtickets nach Hawaii spendieren willst oder so was, dann würde ich dir auch keine Vorwürfe machen.«
Er lachte. Ich liebte es, ihn zum Lachen zu bringen. Und ich hatte das Gefühl, er lachte nicht so sehr viel, wenn er nicht in Wisconsin war. Ich konnte mir nie so gut vorstellen, wie
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