Shotgun Lovesongs
hier abhauen.Meine Freunde haben sowieso fast alle den Verstand verloren.«
Es sah so aus, als wäre ganz Little Wing in der Bar versammelt. Die Leute standen dicht an dicht bis draußen in die Gasse, wo die, die nicht mehr reinpassten, Schneebälle formten und dem lila Müllcontainer damit eine Breitseite verpassten. Der Schnee fiel jetzt ziemlich heftig. Viele von den Leuten hatten Kazoos im Mund oder anderes Zeugs, um ordentlich Krach zu machen. Ein paar hatten die Blockflöten und Tamburins von der Grundschule mitgebracht, und Kuhglocken und Triangeln. In der Bar war ein solcher Lärm, als würdest du ein Rodeo in deiner eigenen Heimatstadt reiten, und alle klopften mir auf den Rücken und umarmten mich und da war auch Lucy! Mein Mädchen! Und sie kam ganz nah an mich heran und schlang ihre wunderbaren Arme um meinen Hals und gab mir einen dicken sexy Kuss und als die Leute in der Bar das sahen, da hätte man meinen können, gleich würde das verdammte Dach wegfliegen vor lauter Begeisterung.
Dann kletterte Lee nach oben auf den Tresen und bat alle um Ruhe und dann nahm er ein Glas Bier und sagte: »Auf Lucy und Ronny und auf ihr kleines Baby! Wenn du uns da drinnen hören kannst, dann gib deiner Mama einen kleinen Tritt. Aber wart noch einen Moment.« Und dann kletterte er von der Bar wieder runter und bahnte sich einen Weg durch die Leute, die zwischen ihm und Lucy und mir standen und legte meine Hände auf ihren Bauch und dann sagte er: »Okay. Jetzt alle! Auf Lucy und Ronny! Ein lautes Hip-Hip-Hurrah!« Und die Bar geriet vollkommen aus dem Häuschen, alle machten einen Riesenkrach mit ihren Instrumenten und die Leute trommelten mit ihren Fäusten auf den Tresen und stampften mit den Füßen und sangenund tatsächlich, da, unter meiner Hand, war ein winziges Zucken, wie ein Kätzchen, das versucht, sich aus einer Papiertüte zu befreien.
Lee umarmte mich und sagte dann: »Ich hab dich lieb, Kumpel. Herzlichen Glückwunsch!«
Ich konnte es kaum fassen. Konnte kaum glauben, dass alle da waren, alle Menschen, die ich kannte und liebte. Sie kamen alle zu uns beiden und umarmten uns. Henry, Beth, ihre Kinder – Alex und Eleanore –, die mich beide auf die Lippen küssten, als wäre ich ihr Onkel, und mich genauso fest drückten, wie ich sie drückte. Kip und Felicia. Felicia sagte Lucy etwas ins Ohr, das ich nicht hören konnte, aber es muss etwas sehr Nettes gewesen sein, denn Lucy fing an zu heulen und die beiden umarmten sich so fest, dass man hätte schwören können, sie wären zwei lang verloren geglaubte Schwestern, die sich eben erst wiedergefunden hatten und sich gleich wieder für immer trennen mussten. Eddy und seine Familie waren auch da. Und die Giroux-Zwillinge – wie ein Paar großer dicker Bären. Ein paar frühere Lehrer von mir, von uns. Alte Klassenkameraden, Exfreundinnen, Cousins und Cousinen und auch die Cousins und Cousinen zweiten Grades und ein paar Jungs vom Rodeo, die ich schon seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Meine Hand war irgendwann ganz erschöpft von all dem Händeschütteln.
Und irgendwann an dem Abend drückte mir dann jemand – wahrscheinlich einer meiner Rodeokumpels, der nicht Bescheid wusste – einen Tequila in die Hand und ich schüttete ihn mir hinter die Binde, als wären es Hustentropfen, bevor mir überhaupt klarwurde, was ich da gerade getan hatte. Und es ist anscheinend auch keinem der anderen aufgefallen. Alle waren schon ziemlich beschwipst undhatten Spaß, keine Frage. Lucy stand an der Theke und so’n paar Frauen hatten sich um sie geschart und betatschten ihren dicken Bauch. Henry und Beth saßen in einer der Nischen mit ihren Kindern auf dem Schoß, Lee spielte Shuffleboard mit Eddy und alle beide schwitzten wie blöd und ihre Arme waren voller Sägemehl von dem Shuffleboardtisch. Und deshalb war auch keiner da, der mir das Glas aus der Hand hätte schlagen können, keiner, der verhindert hätte, dass mir das nächste Glas Tequila in die Hand gedrückt wurde und dann noch eins und noch eins. Und so ging es weiter, alles meine Kehle hinunter.
Bevor der Abend vorbei war, muss ich wohl noch drei oder vier weitere Gläser gekippt haben, glaube ich. Vielleicht auch fünf. Jedenfalls mehr Alkohol, als ich in fast einem Jahrzehnt getrunken hatte, und trotzdem nicht mal genug, um einen Kaffeebecher zu füllen. Davon, was nach diesem vierten oder fünften Glas passiert ist, weiß ich fast gar nichts mehr, außer dass ich schließlich nicht mehr in der Bar
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