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Shotgun Lovesongs

Shotgun Lovesongs

Titel: Shotgun Lovesongs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nickolas Butler
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Coffee Cup.
    Als ich zu Hause ankam, bestellte ich übers Telefon zwei Flugtickets nach Hawaii. Dann schlief ich auf dem Sofa ein, während ich mir ein Kissen gegen die Brust gedrückt hielt. Als ich wieder aufwachte, war es draußen schon wieder dunkel. Und es würde noch sehr lange dauern, bis der Frühling kam.

Ein riesiges Glas mit eingelegten Eiern. Dutzenden, vielleicht Hunderten von Eiern, die in einer trübgrünen fruchtwasserähnlichen Flüssigkeit schwammen – als hätte dort, in diesem Gefäß, ein mächtiges Reptil sein Gelege hinterlassen, in der wohl vergeblichen Hoffnung, es möge irgendwann in der Zukunft schlüpfen. Das Glas war mehr als einen halben Meter hoch und fast genauso breit und es stand dort hinter dem Tresen, an der Wand mit dem großen Spiegel, in dem sich der lange, schmale Raum spiegelte. Draußen im Fenster blinkten unablässig die Neonlichter und zogen zahllose Motten, Mücken und Glühwürmchen an. Drinnen warf die in der Ecke stehende Jukebox ein milchiges Licht in den Raum, während die beiden rechteckigen Filzflächen der Billardtische von den Lampen darüber in ein leuchtendes Grün getaucht wurden. Mehrere Poolspieler umkreisten zielstrebig die Tische und zeigten mit ihren Queues, ihren fleischigen Fingern oder Zahnstochern das Loch an, auf das sie zielten. An der Theke saßen alte Männer und schüttelten lederne Würfelbecher oder spielten Cribbage und verkündeten in monotonem Singsang, wie viel Punkte sie beim Auslegen erzielten. Und draußen auf der Straße im Frühlingsnebel standen die Raucher, die seit kurzem gezwungen waren, die Bar zu verlassen, nickten mit den Köpfen, während sie sich unterhielten,saugten an den gelben Filtern ihrer Zigaretten und bliesen blaugrauen Rauch in die Nacht.
    Es war Montag Abend. Die Tür zur Hauptstraße stand weit offen. Lee und ich saßen an der Bar und beobachteten einander in dem Spiegel, vor dem die ganzen Schnapsflaschen standen. Wir tranken unser Bier in schnellen Zügen, weil wir nicht mehr wussten, wie wir überhaupt noch miteinander reden sollten, nicht mal wussten, wer von uns gerade dran war. Am Vormittag hatte es stark geregnet und der sporadische Verkehr auf der Hauptstraße erzeugte ein wunderbares Frühlingsgeräusch, wann immer die nassen Reifen über die Straße rauschten – Ssswuuuuschschschsch . Ich war mit der Aussaat fertig und freute mich über den Regen.
    Wir vertrieben uns die Zeit damit, Erdnüsse zu knacken, und ließen die Schalen unter unsere Hocker fallen, während wir übelgelaunt und mit schwerem Herzen dasaßen. Irgendwo tief in unserem Innern wünschten wir uns beide, wir könnten wieder Freunde sein, wussten aber nicht, ob das überhaupt noch ging und was von dem Geschehenen wir würden vergessen oder rückgängig machen können. Ich glaube, man kann wohl sagen, wir beide hatten das Gefühl – ohne dass einer von uns es laut ausgesprochen hätte –, dass nun, nach mehr als dreißig Jahren, unsere Kindheit endgültig zu Ende gegangen war. Dass die verlässlichen, unkomplizierten Freundschaften, die unsere Jugendjahre geprägt hatten, nun auseinanderbrachen. In der halben Stunde, die wir dort saßen, hatten wir kaum hundert Worte gewechselt. Wir schafften es nicht einmal, über irgendwelches belangloses Zeug wie etwa das Wetter zu reden. Die Art, wie wir das Bier hinunterschluckten, hatte etwas Verzweifeltes. Wir tranken, um betrunken zu werden. Um nicht mehr ganz so verkrampft zu sein.
    »Ich werde das Glas da stehlen«, sagte Leland.
    Ich schielte zu ihm rüber. »Ach ja?« Dann schnipste ich mir eine Erdnuss in den Mund. »Was glaubst du, wie viele Eier da überhaupt drin sind?« Ich klaubte mir ein paar Schalenreste von den Armen und betrachtete abschätzend den Glasbehälter.
    Ich hatte schon seit Monaten nichts mehr von dem, was er sagte, ernst genommen. Ich hatte einfach nicht mehr die Geduld dazu. Früher hatte es eine Zeit gegeben, da war ich nicht nur sein Freund, sondern auch sein Fan. Jetzt kam mir das alles so weit weg vor, so kindisch. Es war mir unendlich peinlich, daran zu denken, wie sehr ich Lee vergöttert hatte. So ähnlich wie mein kleiner Sohn die Green Bay Packers vergötterte, deren Trikots er ganz ohne jede Hemmungen trug und deren Poster an seinen Wänden hingen.
    Mir hatte schon den ganzen Tag vor diesem Abend gegraut – ihn in der Bar zu treffen, mich mit ihm unterhalten zu müssen. Irgendwann morgens hatte ich hinter einer Kuh mit der Nummer 104 gestanden und das

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