Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Shotgun Lovesongs

Shotgun Lovesongs

Titel: Shotgun Lovesongs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nickolas Butler
Vom Netzwerk:
Jungvermählten zu, derart entfesselt, wie man es nur in einer so kleinen Ortschaft erleben kann, einer Ortschaft, die das halbe Jahr unter Schnee vergraben liegt und von Thanksgiving bis Ostern größtenteils ohne Sonnenlicht auskommen muss. Auch zahllose Kinder waren noch auf der Tanzfläche, die eigentlich schon längst ins Bett gehörten, und bewegten sich perfekt im Takt, tanzten ausgelassen und ohne jede Hemmungen. Zwischendurch liefen sie immer wieder zu den Tischen, wo der gefrorene Blechkuchen stand und vor sich hin schmolz. Strichen mit ihren Fingern durch die dicke Glasur und zogen sie vollkommen cremebeschmiert wieder heraus. Tranken in großen Zügen ihre Limonade. Rieben sich ihre schläfrigen Augen und gingen dann wieder zurück auf die Tanzfläche, weil sie noch immer nicht genug hatten. Tanzten im Kreis, tanzten mit ihren Eltern. Und in den Ecken schmollten die Teenager, tippten in ihre Handys, schauten hoch, wünschten sich sehnlichst, an dem Spaß teilzuhaben, fanden aber alles viel zu peinlich, um es zu versuchen. Da waren ihre Eltern und tanzten, schmiegten sich manchmal sogar so eng aneinander, dass es den Teenagern die Schamröte ins Gesicht trieb und ihnen ein verzweifeltes Ach du Scheiße entlockte. Teenager, die sich davonstahlen, mit Zigaretten, die sie aus den Handtaschen ihrer Mütter oder den Jackentaschen ihrer Väter geklaut hatten, die auf den Toiletten rauchten oder draußenbei den Eisenbahnschienen. Die sich in den abgelegenen Winkeln der alten Mühle heimlich küssten, mit großen Augen, mit Augen voller Liebe und Staunen und neuen uralten Gefühlen. Und dann die alten Leute, die auf ihren Stühlen saßen, zuschauten, klatschten, manche von ihnen fast vollkommen bewegungslos, als wären sie katatonisch, während nur der winzigste Ansatz eines Lächelns über ihre Lippen zuckte. Manche der alten Frauen standen auf, um mitzutanzen, aber die alten Männer schüttelten die Köpfe, nein, nein, nein , verschränkten die Arme und schlugen die Beine übereinander und es wirkte so, als wollten sie am liebsten einen Sitzstreik auf der Erde abhalten und sich dabei solidarisch an den Händen fassen. Ich hab noch nie getanzt und werde zum Teufel auch jetzt nicht damit anfangen.
    Und dort war auch Kip, stand gegen die Wand gelehnt, schüttelte das Eis in seinem Plastikbecher, als wären es Spielwürfel, und hatte einen seltsamen Ausdruck im Gesicht. Er sah irgendwie glücklich aus. Als hätte er gerade etwas Besonderes vollbracht. Er sah mich nicht, aber ich sah ihn, sah ihn von dort, wo ich gerade mit unseren Freunden tanzte. Ich verließ die Tanzfläche, den ganzen wilden Krawall, und ging zu ihm, während ich mir den Schweiß aus dem Gesicht wischte. Was ich jetzt am meisten brauchte, war eine Rolle Küchentücher und eine kalte Dusche. Aber dazu hatte ich einfach zu viel Spaß – so wie auch alle anderen. Irgendwie hatte es dieser Teufelskerl da doch tatsächlich geschafft, alle zusammenzubringen.
    Er sah mich kommen und stellte sich aufrecht hin, so als wäre ich ein Lehrer, der ihn wegen seiner schlechten Haltung rügen wollte. Ich sah, wie er mit den Zähnen einen Eiswürfel zerkaute. Er nickte und reichte mir die Hand, wobei er fast streng wirkte.
    »Leland«, sagte er. Es fiel mir auf, dass er meinen vollständigen Namen benutzte. Nicht Lee , nicht Kumpel . So weit war es mit uns gekommen, mit ihm und mir.
    »Komm mit nach draußen«, sagte ich. »Lass uns spazieren gehen. Ich geb dir ein Bier aus.«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich denke, ich sollte besser hier bleiben.«
    »Ach, jetzt komm schon«, sagte ich. Ich legte eine Hand auf seine Schulter und spürte, wie sich sein ganzer Körper anspannte. »Scheiße, Mann, jetzt gib mir schon die Gelegenheit, mich zu entschuldigen. Okay?«
    Er schaute mich eine Sekunde lang stumm an. Dann löste er sich von der Wand. Wir gingen zusammen hinaus in die Kälte und kamen uns vor wie zwei Männer, die gerade eine Sauna verlassen. Von unseren Köpfen stieg in langen Dunstsäulen der Dampf auf. Auch andere waren in die Winternacht hinausgegangen, standen draußen vor der Mühle, rauchten, schauten in die Sterne, kamen wieder zu Atem. Sie nickten uns zu, auch wenn ich sagen muss, dass sie eindeutig eher Kip zunickten als mir. Er hatte etwas ganz Besonderes geschafft, etwas sehr Seltenes. Etwas, das man so in Amerika eigentlich gar nicht mehr findet, denke ich. Eine ganze Stadt, eine ganze Ortschaft zusammenzubringen, um zusammen zu feiern und

Weitere Kostenlose Bücher