Shotgun Lovesongs
meiner Hand nach den kühlen, nassen Bahnschienen.
»Was für eine Scheiße!«, rief der Junge entsetzt.
Wir schauten zu, wie er stocksteif dastand, mit ausgestreckten Armen und aufgerissenem Mund, während er an sich selbst heruntersah. Die Luft war plötzlich mit dem Geruch nach Eiersalat erfüllt.
Der Junge schaute zu uns hoch, verzog höhnisch das Gesicht und schoss zum zweiten Mal.
Lee wurde getroffen und stürzte mit einer Kugel im Bein zu Boden. Er schrie nicht, aber er rang verzweifelt nach Atem. Befriedigt steckte der Junge die Pistole in den Bund seiner Unterhose, stieg wieder in sein Importauto und rauschte davon. Wir blieben allein in der Dunkelheit zurück. Ich ging zu Lee, zu meinem Freund, und beugte mich zu ihm herunter.
»Verdammt, tut das weh«, stöhnte er. »Ich sag’s dir, Hank – es brennt wie Feuer.«
»Ich geh jetzt den Wagen holen, Kumpel«, sagte ich. »Ich lauf sofort los. Wir fahren dich ins Krankenhaus.«
»Ja, hol den Wagen.«
»Darauf kannst du wetten, Lee. Ich hol den Wagen und wir fahren dich ins Krankenhaus.«
Seine Hand schnellte durch die Dunkelheit und packte mich. »Nein«, sagte er. »Das geht nicht.«
»Warum nicht?«
Er saugte die Luft laut durch die Zähne ein und stieß sie dann mit einem pfeifenden Geräusch wieder aus. »Weil das erstens wahnsinnig schlechte Publicity wäre.« Er holte erneut schmerzhaft Atem. »Und zweitens, wenn da so jemand wie ich im Spiel ist, dann werden die Bullen die Sache so richtig unter die Lupe nehmen wollen. Und drittens, Scheiße, Mann – wir haben das Ganze doch selbst angefangen. Wir haben geklaut.«
»Also, was soll ich jetzt tun?«
»Hol einfach nur den Wagen und komm wieder her.«
»Okay, halt durch, Kumpel. Ich bin bald wieder da.«
»Ich schlepp mich irgendwie zur Straße runter.«
»Scheiße, nein, rühr dich bloß nicht von der Stelle«, rief ich und lief los in Richtung Hauptstraße.
Als ich mit dem Pick-up zurück zur Brücke kam, war er noch nicht sehr weit gekommen. Er hatte sich nur wenige Zentimeter die Böschung zur Straße hinuntergewälzt und seine bleiche Stirn war schweißüberströmt.
»Wir müssen dich ins Krankenhaus bringen«, sagte ich. »Das ist doch lächerlich.« Ich legte mir seinen Arm um die Schultern und wir stiegen auf wackligen Beinen den Hang hinunter.
»Nein! Nicht ins Krankenhaus! Es blutet nicht mal so besonders stark. Das schaffen wir auch selbst.« Er schielte zu seinem Bein hinunter. »Ich glaube, die Kugel ist hinten nicht wieder rausgekommen, also nehmen wir uns, äh, wir nehmen uns einfach eine Pinzette oder so was und pulen diese Kugel wieder raus, und dann verbinden wir das Ganze. Kein Problem. Das wird später mal ’ne tierisch gute Geschichte abgeben. Vielleicht schreib ich ja sogar ein Lied drüber. Das gibt den scheiß Journalisten dann noch was, worüber sie schreiben können. Wenn sich der Staub erst mal gelegt hat.« Er versuchte zu kichern, aber sog dann wieder scharf die Luft ein, griff mit beiden Händen nach seinem Bein und kniff die Augen zu.
»Das kommt davon, wenn man andere Leute beklaut.«
»Scheiße«, sagte Lee. »Das hätte ich nie gedacht. Dass das so brennt.« Er atmete mit lauter Zisch- und Keuchgeräuschen; die Schmerzen waren so stark, dass er immer wieder Flüche in die Nacht hinausschrie oder sogar über sich selbst lachte – egal was, nur damit er irgendwie tief Atem holen und wieder ausstoßen konnte. Sein eines Hosenbein war von dem Blut dunkel burgunderrot, fast schon schwarz getränkt. Mit seiner Hilfe zog ich ihm das Hemd aus und knotete es um seinen Oberschenkel. Dann setzte er sich neben die Straße, betrachtete die Sterne, um sichabzulenken, und verfolgte die Bahn eines Satelliten, der vorüberzog. Ich gab ihm eine Minute, um zu verschnaufen, half ihm dann auf und verfrachtete ihn in meinen Wagen. Dann rannte ich um die Motorhaube herum und setzte mich vors Steuer.
»Wohin?«, fragte ich.
»Scheiße, ich blute doch jetzt deinen Wagen nicht voll, oder?«
»Nein, ich hab ein paar Mülltüten auf den Sitz gelegt. Komm, jetzt sag schon – wohin soll ich fahren?«
»Zu mir«, keuchte er. »Ich hab da ein paar Tabletten. Und Schnaps. Und da kann ich hinbluten, wo ich will. Das Haus könnte sowieso mal neuen Teppichboden gebrauchen.« Und nachdem er einen Moment das Gesicht vor Schmerz verzerrt hatte, sagte er: »Scheiße. Scheiße, scheiße, verdammte Scheiße! Okay, fahr los!«
»Wie du willst«, sagte ich. »Ist ja nicht mein
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