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Shotgun Lovesongs

Shotgun Lovesongs

Titel: Shotgun Lovesongs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nickolas Butler
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werden. Wart’s nur ab. Nicht mehr lange und ich bin nicht mehr der Einzige, der so’n Tattoo hat.«
    »Hier, buchstabier mir das mal. Schreib es auf den Zettel da, in großen Druckbuchstaben. Und mach bloß keinen Fehler. Das hier kannste nämlich nicht mehr abwaschen.«
    Er benutzte eine Nähnadel und die Tinte von ein paar Kugelschreibern aus dem Handschuhfach des Camino. Als er mir dann die Buchstaben in die Haut geritzt hatte, fragte er: »Was heißt das überhaupt?« Sein Gesicht war ganz nah an meinem. Ich glaube, vor ihm war mir noch nie ein anderer Mann so nahe gekommen. Er blies mir den Zigarettenrauch direkt ins Gesicht. Ich schaute auf die Fältchen um seine Augen und in seinen Mundwinkeln. Auf die gelben Zähne in seinem Mund und das dunkel verfärbte Zahnfleisch. »Ich glaube, es heißt Krähe. Jedenfalls sind die auf allen seinen T-Shirts drauf. Lauter Krähen.« »Willst du, dass ich dir noch ’ne Krähe dazumache? Ich glaub, ich würd das ganz gut hinbekommen. Ich mach dir ’ne schicke Krähe.« »Hast du das denn schon mal gemacht?« Er sah mich an. »Okay«, sagte ich. »Aber vielleicht trink ich dann erst mal noch’n Bier.« »Gute Idee. Bring mir auch eins mit.«
    ...
    Ich mag Chicago. Manchmal nehme ich unsere Tochter Christina und fahre mit ihr Hochbahn, nur um mal aus der Wohnung rauszukommen. Sie ist ein kleiner Engel. Ich glaube, sie mag die Hochbahn. Die Leute kommen zu uns rüber und gucken in den kleinen Babykorb. Wir können den ganzen Tag fahren, wenn wir wollen. Und manchmal machen wir das auch. Ich starre die ganzen riesigen Gebäude an. Den Sears Tower, oder wie auch immer das Ding inzwischen heißt, erkenne ich jetzt schon. Und das John-Hancock-Gebäude,wo, glaube ich, Kip mal gewohnt hat. Wir fahren an Wrigley Field vorbei und bis ganz hinauf nach Evanston und dann den ganzen Weg wieder zurück, nach Süden, an Comiskey und Chinatown vorbei, bis die Wolkenkratzer immer weniger und die Häuser immer kleiner werden.
    Und keiner schaut mich irgendwie schief an. Keiner sagt mir, was ich tun oder was ich lassen soll. Und wenn ich mich verirre, dann bitte ich irgendjemanden um Hilfe. Und ich glaube, die Leute sind dann immer besonders nett, weil ich ein kleines Baby auf dem Arm habe.

Damals, als wir Teenager waren, nahm Henry mich einmal mit auf die Spitze der Futtermühle. Es war ein lauer Sommerabend und nicht einmal der leiseste Lufthauch war zu spüren. Kurz nachdem meine Eltern eingeschlafen waren, stahl ich mich aus dem Haus. Henry und ich gingen zusammen in die Stadt und hielten uns dabei an den Händen. Wir hätten von jedem gesehen werden können, aber außer uns war keine Menschenseele unterwegs, keiner schaute uns zu. Nur ein alter Witwer, der auf der Veranda vor seinem Haus in einer Hollywoodschaukel saß, sich vor- und zurückschwang und uns in der Dunkelheit zuwinkte.
    Oben auf der Spitze des Silos wehte aber eine leichte Brise und weit in der Ferne tobte ein Gewitter, in dem Himmel und Erde miteinander verschmolzen. Wir zogen unsere Schuhe aus und ließen unsere Füße über dem Abgrund baumeln. Dann küssten wir uns, und ich merkte, dass meine Oberlippe ganz nassgeschwitzt war, aber Henry schien das nichts auszumachen. Er berührte meine Ohren, meinen Hals. Er sagte mir, dass er mich liebe. Henry. Mit achtzehn Jahren.
    Das alles war es wert, jeder einzelne Moment. Jeder Streit, all die Jahre kindischen Herumexperimentierens, der gelegentliche Schmerz und Kummer, das immer leere Konto, all die gebrauchten, uralten Wagen, mit denen wirdurch die Gegend fuhren. So lange mit einem anderen Menschen gelebt zu haben, mit einer anderen Person, mit diesem Mann, und gesehen zu haben, wie er sich verändert, wie er innerlich wächst. Zu sehen, wie er ein noch anständigerer und geduldigerer, ein noch stärkerer und fähigerer Mensch wird – zu sehen, wie sehr er unsere Kinder liebt, wie er sich mit ihnen begeistert auf der Erde wälzt oder sie in aller Öffentlichkeit küsst, ohne dass es ihm irgendwie peinlich wäre. Abends seine Stimme zu hören, wie er ihnen vorliest oder ihnen von seinem eigenen Vater erzählt, wie er war, als er noch lebte, oder wie ich als Mädchen war oder als Teenager oder als junge Frau. Zu hören, wie er ihnen erklärt, warum diese Gegend, in der wir leben, etwas ganz Besonderes ist. Wie er für die Bäume betet und den Schlamm und den Regen und für die Menschen auf dieser Erde, die nicht so viel Glück haben wie wir. Seiner Stimme in der Kirche zu

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