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Shotgun Lovesongs

Shotgun Lovesongs

Titel: Shotgun Lovesongs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nickolas Butler
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sofort wieder aus und wischte sich die Zunge mit einem Zipfel seines Hemdes ab. »Scheiße.«
    Ich saß da und war sprachlos. »Du hast die Mühle gekauft?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Das war das einzig Richtige. Was hätte ich denn sonst tun sollen? Kip vor die Hunde gehen lassen? Ich würde dasselbe für dich tun, Kumpel, wenn du mich nur lassen würdest. Wir könnten Partner sein.«
    »Ach ja? Darauf kannst du lange warten.«
    Er heftete seinen Blick auf ein Paar Autoscheinwerfer in der Ferne, die in unsere Richtung kamen. Der Wagen fuhr ziemlich schnell und geriet auf der nassen Fahrbahn immer wieder leicht ins Schlingern. Wir konnten es beide sehen, konnten hören, wie die Reifen bei jeder Kurve kreischten. Es war die Art von schlampigem, viel zu schnellem Fahrstil von jemandem, der nachts betrunken auf der Landstraße unterwegs ist; jemand, der viel zu spät in die Kurven lenkt, weil seine Reflexe verlangsamt sind und seine Sicht vom Bier vernebelt ist.
    Lee schnappte sich flink ein Ei. Seine Finger gruben kleine Vertiefungen in die glatte, graue Haut. Mit gehobenem Arm wartete er, bis das Auto nur noch ungefähr zehn Meter von uns entfernt war, holte aus und warf dann das Ei – fest und gerade und genau ins Ziel. In den wenigen Millisekunden, die das Ei auf seinem Flug brauchte, konnte man das Fahrzeug immer deutlicher erkennen. Es war ein aufgemotzter kleiner Mazda, den keiner von uns beiden kannte, mit blitzenden Felgen und einem Fahrgestell, dasin einer seltsam ätherischen violetten Farbe leuchtete. Laute Musik dröhnte zu uns hoch, die Windschutzscheibe war dunkel getönt, und dann – klatsch! – breitete sich ein Netz aus Rissen über die gesamte Glasscheibe aus, die Reifen gerieten ins Rutschen und es sah fast so aus, als würden die Bremsen Funken schlagen, während das fremde Fahrzeug abrupt zum Stillstand kam.
    » Scheiße «, sagte ich. »Wahnsinn, du hast sie echt erwischt, Kumpel. Mitten ins Schwarze.«
    Es wurde ganz still um uns herum und wir standen auf und schauten nach unten, wo das Fahrzeug unbeweglich auf der Straße stand. Dann öffnete sich eine der Türen und ein dürrer junger Typ stieg aus, der fast noch ein Kind zu sein schien. Seine Kleider waren viel zu groß für ihn, er hatte mehrere Goldkettchen um den Hals hängen und seine weite, seidig glänzende Hose ging ihm gerade mal bis zu den dünnen Knöcheln. Und in der Hand hielt er eine sehr eindrucksvolle, verchromte Beretta-Pistole. Zuerst bemerkte er uns nicht, denn die Scheinwerfer seines Mazda leuchteten unter der Brücke hindurch und auf die dahinterliegende Straße hinaus. »Eh, Scheiße, eh, wer war das? Welches verfickte Arsch hat meine Windschutzscheibe geschrottet?«, brüllte er in die Nacht hinaus. Der Junge klang unsicher, und ich konnte erkennen, dass er sich verzweifelt bemühte, der grenzenlosen Dunkelheit der Nacht etwas entgegenzusetzen, indem er sich für uns in Pose warf und versuchte, seine Stimme tiefer klingen zu lassen. Und obwohl er noch ein halbes Kind war, ein Teenager, hatte ich Angst vor ihm, vor ihm und seiner Pistole.
    »Und was jetzt, du Schlaumeier?«, flüsterte ich Lee zu.
    »Scheiße«, sagte Lee und klang plötzlich ganz nüchtern. »Scheiße. Das war nicht geplant, dass der ’ne Pistole hat.«
    »Kennst du ihn etwa?«
    »Nee, verdammt, überhaupt nicht. Er sieht aus, als hätte er sich hierher verirrt.«
    Der Junge stand nicht weit von uns entfernt, in einem flatternden weißen T-Shirt. Er hatte die Arme herausfordernd ausgebreitet und die Pistole glänzte im Scheinwerferlicht. Die Baseballkappe, die er auf dem Kopf trug, saß schief und wir konnten sehen, dass er leicht zitterte. Auf seinem fliehenden Kinn, das ebenfalls ein wenig bebte, spross ein dünner blonder Spitzbart und seine langen blonden Haare fielen ihm in geflochtenen Strähnen den Rücken hinunter.
    Dann sagte Lee laut: »Ich bin hier oben« und hielt als Geste der Kapitulation seine Hände hoch.
    Der Junge schaute hoch, zielte mit seiner Pistole und schoss. Das Glas mit den eingelegten Eiern explodierte und sein Inhalt ergoss sich in einem ekelhaften Wasserfall aus Lake und Eimasse in die Tiefe. Der Junge wurde zwar nicht direkt getroffen, aber die Eier zerplatzten mit gewaltiger Kraft auf dem Asphalt und durchtränkten seine Basketballschuhe, seine Hose und sein weißes T-Shirt.
    Wir hielten den Atem an. Lee hatte seine Hände immer noch in die Luft gestreckt. Ich kauerte mich tief in den Schatten und tastete mit

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