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Shotgun Lovesongs

Shotgun Lovesongs

Titel: Shotgun Lovesongs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nickolas Butler
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mir ein kleines Päckchen, klein genug, um in meine Handtasche zu passen. Es war in dickes braunes Papier eingeschlagen.
    »Würdest du das bitte Lee geben?«, fragte er mich. Sein Gesicht war ernst. Es spiegelte sich darin ein Gefühl, das ich von ihm noch nicht kannte. Es hätte Reue sein können, oder auch Resignation. »Sag ihm, wir freuen uns sehr fürihn, okay? Und dass wir ihm unsere Glückwünsche senden. Würdest du das bitte für uns tun?«
    »Okay, Jungs und Mädels«, sagte Henry und klatschte in die Hände. »Los geht’s.«
    »New York City«, sagte Ronny. »New York City.«
    Minneapolis ist der unserem Ort am nächsten gelegene große Flughafen, auch wenn wir in Wisconsin leben und Minneapolis in Minnesota liegt. Und obwohl sich beide Bundesstaaten entlang des Mississippi und des St. Croix, den ganzen Weg hinauf bis zum Lake Superior und den ganzen Weg hinunter bis nach Iowa und Illinois eine Grenze teilen, kann ich trotzdem genau spüren, dass sie voneinander getrennte, einzigartige Gebiete sind. Und als wir abhoben und über Minneapolis und seine Wolkenkratzer hinwegflogen und dann über die ältere, bescheidenere Skyline von St. Paul, da hatte ich das Gefühl, als könnte ich eine detaillierte Karte jener Landschaft zeichnen, die sich unter mir in immer weitere Ferne erstreckte. Ein Teppich aus Feldern, Waldstücken auf Hügelketten und in Tälern, Bächen, die silbern und blau glitzerten, tränenförmigen Teichen, unzähligen Seen, gelben Schotterwegen und schwarz geteerten Zufahrtswegen und Landstraßen. Und dann, direkt unter uns, unser Städtchen.
    »Wink mal den Kindern zu«, sagte ich zu Henry.
    »Glaubst du, das ist Little Wing?«
    »Aber klar, sieh doch – da ist die Bahnstrecke und die Mühle. Der Teich, der Golfplatz. Nein, im Ernst, schau hin – du kannst es erkennen, da ist der Steinbruch, sieh nur, das Wasser.«
    »Es ist fast türkis«, nickte Henry, »wie in der Karibik. Aber ich glaube trotzdem nicht, dass das Little Wing ist.«
    Ich drehte mich zu ihm um. »Warum nicht?«
    »Dieser Golfplatz da hat nur neun Löcher, meine ich. Unserer hat achtzehn.«
    »Was? Nein, der da hatte auch achtzehn.« Ich drehte mich wieder zum Fenster zurück, aber in der Zwischenzeit waren wir schon über einer anderen Stadt, einer Stadt, die sehr viel größer war als unsere. Vielleicht Eau Claire. »Ich bin mir ganz sicher, es war Little Wing.«
    »Weck mich, wenn wir über Lake Michigan sind«, sagte Henry und schloss die Augen.
    Plötzlich stand Ronny vor uns im Gang.
    »Hallo, Ronny«, sagte ich.
    »Ja, hallo – Lucy lässt fragen, ob du wohl mit mir die Plätze tauschst, damit du dich zu ihr setzen kannst, sie will mit dir über irgendwas reden.«
    »Ronny, was heißt das denn, irgendwas ?«
    »Ich hab keine Ahnung, Kleider oder so was. Schuhe. Sie macht sich Sorgen wegen ihrer Schuhe.«
    Ich nickte, griff mir meine Handtasche und schob mich an Henry vorbei, der mir einen sanften Klaps auf den Hintern gab. Ich machte mir zwar auch schon Sorgen, wegen meines Kleides, aber ich war mir nicht sicher, ob Lucy unbedingt meine erste Wahl als Modeberaterin gewesen wäre. Als ich endlich im Gang war, quetschte sich Ronny an mir vorbei, wobei er ziemlich unsanft gegen Henry stieß. Er warf sich auf meinen Sitzplatz und starrte aus dem Fenster. Ich hörte, wie er Henry fragte: »Sind wir schon an Little Wing vorbeigekommen?«
    Ich blieb einen Moment stehen, um eine der Flugbegleiterinnen vorbeizulassen.
    »Beth glaubt, sie hätte es gesehen«, murmelte Henry. »Ronny, versuch, etwas zu schlafen.«
    »Ich kann im Flugzeug nicht schlafen«, sagte Ronny. »Das konnte ich noch nie.«
    »Bist du viel geflogen, als du noch Rodeo geritten bist?«, fragte Henry.
    »Nie«, sagte Ronny. »Wir sind immer selbst gefahren. Oder haben den Greyhound-Bus genommen.«
    Henry schaute zu mir hoch und schüttelte den Kopf.
    Lucy winkte mich zu sich heran. Dabei klingelten die Reifen an ihren Armen wie ein Tamburin. Ich lächelte sie an, setzte mich auf Ronnys Platz und merkte, wie ich plötzlich unsicher wurde. Ich wusste nicht, worüber ich mich mit dieser Frau, dieser Stripperin , unterhalten sollte, deren Körper mein Mann zweifellos auf Kips Junggesellenabschied hatte bewundern können. Ich legte die Hände in den Schoß und kam mir schrecklich korrekt vor.
    »Leland muss ein echt netter Typ sein, wenn er uns allen hier den Flug bezahlt«, sagte sie und drehte sich zu mir.
    Ich nickte. »Nun ja, weißt du, er hängt

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