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Shotgun Lovesongs

Shotgun Lovesongs

Titel: Shotgun Lovesongs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nickolas Butler
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Freundlichkeit , auf die wir hier im Mittleren Westen so stolz sind, konnten wir, konnte ich, wie mir gerade klarwurde, genauso eiskalt sein wie unsere längste Jahreszeit.
    Während ich Felicias Kleid vor unserem Spiegel zuHause überstreifte, stellte ich mich auf die Zehenspitzen und malte mir die Schuhe aus, die ich dazu tragen würde. Das Kleid war aus Seide, aber es fühlte sich eher an wie ein Teil meines Körpers – als hätte man auf jede einzelne Kurve, jeden Muskel, jeden Knochen meines Leibes dunkle Farbe aufgetragen, so dass ich nicht mehr nackt war, nicht einmal mehr eine Figur zu haben schien, sondern zur verkörperten Versuchung geworden war.
    »Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll«, erklärte ich Lucy. »Es ist fast zu sexy, aber dann eben doch wieder nicht. Ich fühle mich in diesem Kleid viel jünger. Ich weiß auch nicht. Das klingt wohl reichlich unsinnig.« Es war mir peinlich, so offen zu reden, dieser Frau gegenüber, die mir fast völlig fremd war; mit ihr über meinen Körper zu reden und über das, was ich für sexy hielt und was nicht.
    Lucy legte ihre Hand auf meinen Arm und schaute mich vielsagend an. »Schätzchen«, sagte sie, »ich will doch sehr hoffen, dass es so etwas wie ›zu sexy‹ nicht gibt. Ich habe nämlich vor, alles zu zeigen, was ich habe.«
    Ich lächelte. Über ihre Schulter hinweg konnte ich Lake Michigan sehen, die Millionen und Abermillionen von gezackten Wellen. Sie schimmerten wie unzählige blaue und silberne Pailletten.
    In La Guardia war es erstickend heiß. Wir fuhren mit dem Taxi in die Stadt und der Verkehr war so völlig anders als in Minneapolis: Hier war alles dicht an dicht, unberechenbar und aggressiv. Ich hielt die ganze Zeit über Henrys Hand, und das nicht etwa aus Zuneigung. Ich fühlte mich, als sei ich gerade in eine marode Achterbahn oder eine klapprige Rakete eingestiegen. Ronny setzte sich natürlichnach vorne neben den Fahrer. Der Sikh-Turban hatte es ihm angetan. Er drehte sich immer wieder zu uns um und grinste uns begeistert durch die Glastrennscheibe an.
    In der Hotellobby war es kühl und der Teppich unter meinen geschwollenen Füßen fühlte sich dick und einladend an. Ich versuchte, das prachtvolle Mobiliar nicht zu unverhohlen anzustarren, oder die anderen Gäste, die mit ihren modischen Sonnenbrillen und ihren makellosen Kleidern aus Seide oder Leinen an uns vorbeirauschten. Aber es fiel mir auf, dass einige dieser Gäste selbst nicht weltmännisch genug waren, um ihr eigenes Starren zu kaschieren, als Ronny in die Lobby spaziert kam. Seine Cowboystiefel kündigten ihn wie mit einem Trommelwirbel an und in der Begeisterung, mit der er alles anstarrte, ließ er hemmungslos das Landei raushängen.
    An der Rezeption teilte man uns mit, unsere Zimmer seien bereits bezahlt, mit einem freundlichen Gruß von Mister Leland Sutton.
    »Verdammt noch mal, Lee!«, zischte Henry, obwohl ich den starken Verdacht hatte, dass er genauso erleichtert war wie ich, wenn man bedenkt, dass die Zimmer uns mindestens fünfhundert Dollar pro Nacht gekostet hätten; eine Summe, die wir uns einfach nicht leisten konnten.
    »Er hat Ihnen auch dies hier dagelassen«, sagte der Mann an der Rezeption und überreichte uns einen Umschlag. Lee hatte ihn mit seiner schlampigen, linkshändigen Handschrift adressiert. Henry öffnete den Umschlag.
    Abendessen heute bei Chloe. Ein Wagen wird Euch um sieben abholen. Genießt die Stadt! Alles Liebe, Lee
    »He, Ronny«, sagte Henry. »Kommt ihr zwei Turteltäubchen klar? Ich glaube, Beth und ich hauen uns ein bisschen aufs Ohr.«
    Ronny hatte seinen Arm um Lucys Taille geschlungen. Auf seinem Gesicht breitete sich ganz allmählich ein Lächeln aus, das alle seine Zähne entblößte und seine Augen zum Leuchten brachte. Er nickte uns zu, als wisse er um irgendein Geheimnis, das wir zu verbergen versuchten, etwas Anzügliches, Verbotenes.
    »Oh, wir zwei kommen schon klar«, entgegnete er dann vielsagend. »Wir wollten auch gerade auf unser Zimmer gehen und ein Nickerchen machen, stimmt’s, Lucy?«
    Er gab ihr einen spielerischen Klaps auf den Hintern, mitten in der Lobby dieses Fünfsternehotels. Ich warf einen kurzen Blick auf den Mann an der Rezeption. Der zugleich amüsierte und verächtliche Ausdruck auf seinem Gesicht wäre allein schon das Geld für diese Reise wert gewesen, wenn wir sie denn hätten bezahlen müssen. Ronny schob seine Billigsonnenbrille von der Stirn herunter auf seine krumme Nase. Er zeigte

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