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Shotgun Lovesongs

Shotgun Lovesongs

Titel: Shotgun Lovesongs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nickolas Butler
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immer noch supersauer wegen dieser ganzen Paparazzischeiße. Das wäre eines George Bushs würdig gewesen, wenn du mich fragst.«
    Ich beschloss, ihm nichts von dem Finderlohn zu sagen. Ich wollte, dass die Wunden heilten, dass die Stadt wieder wuchs, und um ehrlich zu sein, so sehr uns Lee auch ein Gefühl dafür gegeben hatte, wer wir waren und wo wir herkamen, brauchten wir doch Leute wie Kip – Leute mit einer ganz anderen Art von Vision. Es war aufregend, dort im Bett zu liegen und mir die Zukunft unseres Ortes vorzustellen; eine Zukunft, in der ich in eine Boutique gehen und ein Kleid kaufen konnte, das nicht so aussah wie ein Duschvorhang, ein Kleid, das ich vielleicht auch in Minneapolis anziehen konnte, falls sich Henry jemals entschließen sollte, mich mit einem Ausflug in die Stadt zu überraschen.
    »Tja«, sagte Henry. »Es sind harte Zeiten für recht vieleLeute. Kip kann echt ein Arschloch sein, aber ich wünsche ihnen wirklich nichts Böses. Er ist immer noch einer von uns.« Und dann: »Wir sind immer noch Freunde.«
    Was Henry in diesem Moment nicht sagte und was ich natürlich auch wusste: dass die Zeiten auch für uns hart waren. Ich wusste, dass Henry überlegte, sich noch irgendwelche Nebenjobs zu suchen. Ich hatte sogar selbst darüber nachgedacht, arbeiten zu gehen, im Supermarkt oder in der Eisenwarenhandlung im Ort; es gab natürlich auch in Eau Claire Arbeit, aber ich fand den Gedanken grässlich, pendeln zu müssen.
    ...
    Ich dachte immer noch über diesen Abend nach, während wir uns dem Terminal näherten. Am Himmel über uns stauten sich die ankommenden Flugzeuge. Die Rollbahnen, auf denen sie landen würden, konnte ich von hier aus noch nicht sehen. Der viele Verkehr verblüffte mich. Das tat er jedes Mal. So viele Autos und Taxis. Als wir noch Kinder waren, gab es in unserem Ort nur ein einziges Taxi. Genauer gesagt war es eigentlich ein Kombiwagen mit einer orangefarbenen Lampe oben drauf, so ähnlich wie die Autos, die die Postzusteller auf dem Land benutzten oder die Landvermesser. Das Taxi wurde von einer älteren Dame gefahren, einer Miss Puckett, die immer erstaunlich viel zu tun hatte, wenn man bedenkt, dass unser Ort nicht mal tausendfünfhundert Einwohner hatte. Sie verdiente ihr Geld damit, die schon etwas betagteren Bewohner zu ihren Arztterminen und Betrunkene vom VFW nach Hause zu fahren. Während der Winterzeit waren ihre Dienstemehr gefragt als sonst, weil dann die besagten älteren Mitbürger Angst hatten, sich auf den vereisten Bürgersteigen die Hüfte zu brechen. Sie brachte die Leute auch zum Flughafen, so wie es Kip jetzt für uns tat, und ich vermute, wenn sie heute noch im Ort gewesen wäre, dann hätten wir uns wohl von ihr hierherfahren lassen. Ich erinnere mich noch genau an ihre dicken fleischigen Arme und daran, wie weit sie auf dem Fahrersitz zurückgelehnt saß, fast liegend, an ihre stumpfen rötlichen Haare, die immer einen irgendwie schweißverklebten Eindruck machten, und an die vollkommen aus der Mode gekommene Brille, die auf ihrer großen knolligen Nase saß. Sie war eine sehr liebe alte Dame.
    Eine meiner Schulfreundinnen, Heather Bryce, fuhr nachmittags immer mit dem Taxi von der Schule nach Hause. Sie war ein Schlüsselkind und ihre Eltern hatten mit Miss Puckett wohl vereinbart, dass sie ihre Tochter jeden Tag von der Schule nach Hause beförderte. An manchen Tagen fuhr ich nach der Schule mit zu Heather und fand es immer furchtbar aufregend, neben meine Freundin auf die Rückbank zu klettern, mit unseren Schulranzen voller Bücher und Mappen, und wie anstrengend es war, diese breiten, schweren Türen des Kombiwagens zu schließen. Ganz hinten im Fahrzeug gab es ein paar ausklappbare Extrasitze und manchmal krochen wir dorthin und schauten zu, wie sich hinter uns die Straße abrollte, während Miss Puckett The Grateful Dead auf Dutzenden von Kassetten hörte, die, wie mir später klarwurde, Raubkopien gewesen sein mussten. Am Rückspiegel hing ein kleiner violetter Tanzbär, das Taxi roch immer nach Weihrauch und der Beifahrersitz war stets mit leeren Chipstüten übersät. Es dauerte Jahre, bis ich eins und eins zusammenzählte.
    Ich kann mich nicht erinnern, jemals davon gehört zu haben, dass Miss Puckett gestorben sei, aber es ist komisch, sie sich an irgendeinem anderen Ort oder in einer Großstadt vorzustellen, wo sie sich eine Lizenz oder einen Taxameter hätte besorgen müssen. Ihre Abwesenheit fiel uns nicht sofort auf, denn zu der

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