Shotgun Lovesongs
Abschnitt meines Lebens – diese sogenannte Freiheit – so besonders glücklich gewesen wäre. Ich wohnte in einem Einzimmerapartment, aß jeden Abend umsonst in der Bar, steckte bis über beide Ohren in Kreditkartenschulden und arbeitete den ganzen Tag in einem Salon voller weiblicher Egos.
»He, Fried Chicken«, witzelten sie öfter, »wie läuft denn so dein Unistudium?«
Oder:
»Wer kommt bloß auf die Idee, Englisch als Hauptfach zu wählen? Konntest du denn kein Englisch, bevor du auf die Uni gegangen bist?«
Und wenn ich mal Männer kennenlernte, dann nur in der Bar. Männer, die bei der Eisenbahn arbeiteten, verheiratete Männer, Männer, die mehrere Scheidungen hinter sich hatten, traurige Männer, alte Männer. Meistens behandelten sie mich mit Respekt. Manche von ihnen lernte ich ziemlich gut kennen, wusste, was für Drinks sie mochten, welche Sportereignisse sie in den Fernsehern verfolgten, die in den Ecken des Raumes hingen, und ob sie einen guten oder einen schlechten Tag gehabt hatten. An manchen Abenden konnte es auch etwas unangenehmer werden. Jemand kniff mich in den Hintern oder irgendein Typ mit Ehering schrieb mir seine Telefonnummer auf die Rechnung oder ließ einen Hotelschlüssel oder ein Kondom darauf liegen. Aber das geschah nicht allzu oft.
Was ich damit sagen will: Ich war froh, nach Little Wing zurückzukehren, ein Wochenende lang die Kochkünste meiner Mutter zu genießen, umsonst Wäsche waschen zu können und eine kleine Verschnaufpause von der Bar zu bekommen. Und es lag dort ein Brief von Lee für mich. Ich konnte es kaum erwarten, ihn zu öffnen, und war froh, aus Wabasha herauszukommen. Deshalb fuhr ich mit meinem Pontiac in einem ziemlich waghalsigen Tempo, geriet mehrfach auf dem Glatteis ins Schleudern und musste Waschbären und verirrten Rehen ausweichen. Nachdem ich die bescheidene, schmale Auffahrt meiner Eltern hinaufgefahren war, blieb ich einen Moment lang im Auto sitzen, um mich zu sammeln. Ich konnte das Gesicht meiner Mutter sehen, das durch die Gardinen spähte. Dann stelltesie sich vor die Haustür und winkte mir zu. Ihre Hausschuhe lugten in die nächtliche Kälte hinaus. Ich zog einen Wäschekorb aus dem Auto, auf den ich meinen Kosmetikbeutel gelegt hatte, und ging ihr auf dem Weg zum Haus entgegen.
»Hallo, Mama«, sagte ich.
»Ich bin so froh , dass du da bist«, sagte sie und umarmte mich, obwohl ich beide Hände voll hatte und ihre Umarmung nicht erwidern konnte.
»Mama, ich schmeiß das Zeug hier nur ganz schnell in die Waschmaschine, bevor ich’s vergesse.«
»Ach, lass mich das doch machen. Geh deinen Vater begrüßen. Ich glaube, er ist im Wohnzimmer.«
Ich schloss die Eingangstür und war glücklich, wieder daheim zu sein. Die Gerüche und Geräusche dieses Hauses, ja sogar die Stellen, wo es zog – all das hatte mich geprägt, war ein nicht wegzudenkender Teil meines Lebens. Ich zog die Schuhe aus und rieb meine Füße an dem dicken braunen Teppich im Flur. Meine Mutter hatte ganz offensichtlich Stunden damit zugebracht, das Haus für meine Ankunft auf Hochglanz zu bringen. Ich konnte noch die Bahnen des Staubsaugers auf dem Teppich erkennen, konnte sehen, dass im Esszimmer lauter große, nagelneue Kerzen brannten, und roch den wunderbar kräftigen Essensgeruch, der vom Ofen herüberzog. Ein Auflauf, das wusste ich natürlich schon. Hamburger, Mais, Zwiebeln, Ketchup und ein Auflauf mit Käse.
»Hallo, Papa«, sagte ich.
Er saß in seinem Lieblingssessel und las Zeitung. Den Eau Claire Leader . Der Fernseher war auf stumm geschaltet, aber ich wusste, dass mein Vater gern ab und zu von seiner Zeitung aufschaute, um zu verfolgen, was so in der Weltgeschah. Manchmal drehte er dann auch die Lautstärke auf, um den Wetterbericht oder die Sportergebnisse zu hören. Den ganzen Rest fand er so deprimierend, dass es schon zum Heulen war, wie er oft sagte, und darum würde er auch nie aus Wisconsin wegziehen.
»Hallo, mein Mäuschen«, sagte er und stand auf, um mir einen Kuss zu geben. Ich umarmte ihn heftig. »Du riechst gut«, sagte er. »Was ist das? Ist das eins von diesen teuren Lavendelshampoos? Klettenwurzel? Sag schon, was ist es?«
Ich sah ihn skeptisch an. »Du machst dich über mich lustig, oder?«
»Nein, sag mir doch, was es ist, damit ich deiner Mutter eine Flasche davon kaufen kann.«
»Jetzt mal im Ernst, Papa. Du verarschst mich doch.«
Zum Zeichen der Kapitulation hielt er die Hände hoch. »Ich mach mich nicht über dich
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