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Shotgun Lovesongs

Shotgun Lovesongs

Titel: Shotgun Lovesongs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nickolas Butler
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Kühen.
    »Hallo?«
    »Lee?«
    »Beth? Bist du das?«
    »Ja«, sagte ich und stieß die Luft wieder aus. »Ich hab grad deinen Brief gelesen. Hast du Lust auf Besuch?« Ich merkte, wie ich mit der Telefonschnur spielte, sie um mein Handgelenk und die Knöchel meiner Finger wickelte, bis sie ganz weiß wurden.
    »Ja, klar, komm vorbei. Findest du den Weg?«
    »Das schaff ich schon«, sagte ich.
    Meine Mutter erwischte mich an der Haustür, als ich gerade versuchte, mir die Winterstiefel anzuziehen.
    »Ich dachte, du seist müde«, sagte sie und verschränkte die Arme. »Es ist fast zehn.«
    »Ich weiß, Mama«, sagte ich. »Ich muss nur noch was nachgucken.«
    Sie zog die Augenbrauen hoch. »Und wann sollen wir dann die Suchtrupps losschicken?«
    Ich richtete mich wieder auf und griff nach der Türklinke. »Ich bin zum Frühstück wieder zurück.« Dann gab ich ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange.
    »Und da musst du erst duschen, um etwas nachzugucken? Und Parfüm auflegen?«
    »Mama!«
    »Fahr vorsichtig.«
    Ich wusste nicht, was ich da gerade überhaupt tat, nur dass ich neugierig war und ebenfalls einsam. Außerdem war ich im Augenblick nicht durch irgendeine Person oder Beziehung eingeengt. Während ich mit meinem rostigen Pontiac durch Minustemperaturen fuhr, mit nur einem funktionierenden Scheinwerfer, spürte ich die Kälte nicht. Wenn einem kalt ist, dann ist das einzig und allein eine psychologische Sache, sagte mein Vater immer, es spielt sich alles nur in deinem Kopf ab. Ich konnte es ihn geradezu sagen hören. »Die Leute in Florida denken, bei fünfzehn, sechzehn Grad sei es schon kalt. Der Trick ist, warme Socken anzuziehen und ausgiebig zu frühstücken. Aber noch viel besser ist es, einfach glücklich zu sein. Und am allerbesten ist harte Arbeit.«
    Ich trat bis zum Anschlag aufs Gaspedal, ließ den Ort hinter mir und fuhr in die Nacht hinaus. Lee hatte eine Karte für mich gezeichnet, auf der er das Haus meiner Eltern mit einem Sternchen markiert hatte und seine eigene Adresse mit einem X.
    Die Nacht war vom Licht der Sterne und dem Scheinwerfer des fast vollen Mondes hell erleuchtet. Ich fuhr die Kiesauffahrt hinauf und sofort begann ein Hund zu bellen. Es kam mir vor wie das lauteste Geräusch in der ganzen weiten Welt. Ich parkte den Pontiac unter einer uralten Eiche und prüfte kurz im Spiegel, wie ich aussah. Ich konnte hören, wie die Krallen des Hundes über das Eis und den Kies scharrten, während er auf mich zugelaufen kam. Ich stieg aus dem Auto in die Nacht hinaus, viel zu aufgeregt, um Angst zu haben.
    Es war eines dieser riesigen alten Farmhäuser aus beigegelben Ziegelsteinen, inmitten von Winterfeldern aus Maisstoppeln und Schnee. Bei solchen Häusern ist es oft nichtganz leicht, die Eingangstür zu finden, denn sie gehen in allen Richtungen auf Felder und das unendlich geradlinige Netz der Landstraßen hinaus. Immer umgibt eine breite Veranda das gesamte Haus, und nie gibt es eine Türklingel oder einen Briefkasten. Ich sah, wie hinter ein paar Fenstern über mir das Licht anging und jemand die Vorhänge an den unteren Ecken auseinanderzog. Endlich fand ich etwas, das wie eine Eingangstür aussah, und klopfte an.
    Lee öffnete mir. Ich seufzte tief und lächelte ihn an. Er lächelte zurück und winkte mich ins Innere des Hauses. »Psssst«, ermahnte er den Hund. »Komm rein oder bleib draußen«, flüsterte er dann. Der Hund wedelte mit dem Schwanz und schlüpfte ins Haus.
    »Ist das deiner?«, fragte ich.
    »Nee«, antwortete er und umarmte mich. »Der gehört Joaquin. Der wohnt auch oben. Du hast also meinen Brief bekommen?«
    Ich hätte mir fast auf die Hosentasche geklopft, nickte dann aber nur, unsicher, was ich sagen sollte. »Zeig mir, wo du wohnst.«
    Eine alte Frau in einem rosafarbenen Nachthemd kam aus der Küche gewatschelt. Ihr langes weißes Haar, das ihr bis hinunter zu den Kniekehlen reichte, wehte wie ein Umhang hinter ihr her. Sie trug eine Schildpattbrille und hielt eine Tasse mit einer Flüssigkeit umklammert, die wie Kamillentee roch. Sie lächelte uns an.
    »Ich habe ein Bett für Sie zurechtgemacht«, sagte sie.
    »Missus Cather«, sagte Lee mit sanfter Stimme, »das ist meine Schwester, Beth. Beth, das ist Bea Cather.«
    Ich starrte ihn erst verwirrt an, aber dann begriff ich. »Nett, Sie kennenzulernen«, sagte ich und reichte ihr meine Hand. Lee nickte und zwinkerte mir fröhlich zu.
    Sie stellte ihre Teetasse auf einen Beistelltisch, auf dem sich

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