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Shotgun Lovesongs

Shotgun Lovesongs

Titel: Shotgun Lovesongs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nickolas Butler
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lustig. Ich mag es, wie du riechst. Aber jetzt kannst du lange warten, bis ich dir noch mal ein Kompliment mache.«
    Ich ließ mich auf einen Stuhl fallen. »Ach Gott, ich liebe dieses Haus.«
    Er schaute mich über den Rand seiner Zeitung hinweg mit einem eindringlichen Blick an. »Geht’s dir gut, Kind? Du siehst ein bisschen müde aus. Wie steht’s mit Henry? Redet ihr beide noch immer nicht miteinander?«
    »Papa!«
    »Was? Jetzt darf ich noch nicht mal mehr fragen?«
    »Ich bin einfach nicht in der Stimmung, darüber zu reden.«
    »Na ja. Ich weiß zwar nicht, wie ihr jungen Leute diese Sache heutzutage so nennt, aber ich würde nicht zu lange herumexperimentieren. Ich könnte mir vorstellen, dass dues bereuen würdest, wenn du ihn verlierst.« Er lächelte mich an, blätterte in seiner Zeitung und hielt sie dann zwischen uns in die Höhe, wie einen Vorhang. »Väter wissen solche Dinge eben.«
    Ich seufzte tief. Meine Mutter tauchte aus dem Keller auf, wo sie die Waschmaschine angestellt hatte. Ich konnte hören, wie das Wasser in der Trommel hin und her schwappte. Die Luft war schon ein wenig schwerer geworden und hatte sich mit dem Geruch von Waschmittel gefüllt. »Wollen wir essen?«, fragte sie.
    Nach dem Essen machte ich ihnen eine Freude, indem ich ihnen ein paar der besten Geschichten aus meinem Arbeitsleben erzählte und dabei andeutete, die Dinge könnten sich vielleicht in Zukunft zum Besseren wenden. Eventuell durch ein Magisterstudium in Minneapolis oder Madison. Oder eine Ausbildung zur Rechtsberaterin in Milwaukee. Das Ganze fühlte sich wie ein Einstellungsgespräch an, als wollte meine Mutter eingehend prüfen, ob ich mich auch für die eben erst frei gewordene Stelle ihrer erwachsenen Tochter eignete. Sie lächelte mich an, nahm mich bei der Hand und sagte mir, wie stolz sie auf mich sei. Ich gab ihnen beiden einen Gutenachtkuss und ging die Treppe hinauf in mein Zimmer. Eben hatte ich noch so getan, als sei ich müde, aber jetzt war mein ganzer Körper wie elektrisiert. Der Brief lag auf meinem Bett. Lees Handschrift war ein einziges Bleistiftgeschmiere. Ich legte mich auf die Matratze, riss den Umschlag auf und las.
    Er hatte mit niemandem gesprochen, seit er zurückgekehrt war. Er fühlte sich wie ein Versager, weil die Band auseinandergebrochen war. Er wusste nicht, was er überhaupt da machte. Er wusste nicht, wie diese neue Musik war, an der er gerade arbeitete. Er war einsam. Er dachtedarüber nach, alles hinzuschmeißen und sich um einen Studienplatz zu bewerben. Er dachte darüber nach, einen ganz normalen Job anzufangen. Er dachte darüber nach, von hier wegzuziehen. Ganz unten auf die Seite hatte er ein P.S. und daneben eine Telefonnummer gekritzelt, als wäre ihm das noch nachträglich eingefallen.
    Ich faltete den Brief zusammen und schob ihn wieder zurück in den Umschlag. Dann ging ich ins Bad, duschte und starrte mich in dem verschmierten Fenster aus sauberem Glas an, das ich in den ansonsten vollkommen beschlagenen Spiegel gewischt hatte.
    Ich, er, wir alle steckten auf seltsame Weise fest, wie man das manchmal tut, wenn man Mitte zwanzig ist. Unsere Freunde und Klassenkameraden um uns herum hatten dagegen schon in irgendeiner Weise Erfolg, gerade genug jedenfalls, damit sich die, die das nicht geschafft hatten, minderwertig fühlten. Kip war unten in Chicago und wohnte bereits in einer riesigen Eigentumswohnung im John-Hancock-Gebäude, hatte Saisonkarten für den Footballclub und besaß einen Mustang-Oldtimer. Damit fuhr er am Lake Shore Drive und die Michigan Avenue entlang, mit heruntergeklapptem Dach, während ihn die Quarzobelisken der Wolkenkratzer überragten. Eddy und Henry hatten ihn an einem Wochenende besucht und waren mit lauter unglaublichen Geschichten heimgekehrt: Anzüge von Brooks Brothers, Steakessen für fünfhundert Dollar und junge Frauen aus dem Nordwesten, die wie Topmodels aussahen oder wie Ballerinas oder wie reiche Erbinnen aus einer Gesellschaftsschicht, die weit, weit über uns lag. Kip, so wurde mir erzählt, habe einer jungen Frau einen Martini serviert, indem er ihren Stöckelschuh als Sektkelch benutzte.
    Ich zog mich hastig an, föhnte mir das Haar und stopfte Lees Brief in meine Hosentasche. Dann ging ich zum Telefon in der Küche, wählte die im Brief angegebene Nummer und hielt den Atem an, während ich dem Klingeln am anderen Ende lauschte. Über mir konnte ich meine Eltern hören. Sie gingen schwerfällig hin und her, wie eine Herde von

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