Shotgun Lovesongs
Ronny kennengelernt habe. Was zum Teufel hab ich hier zu suchen? Was soll ich diesen Leuten sagen, wenn sie mich fragen: Und was machen Sie beruflich so? « Sie gab diesem Satz einen blasierten Hautevolee-Tonfall und ich musste unwillkürlich lächeln. »Ich bin eine verdammte Stripperin, okay? Ich habe mein Studium nach nur einem Semester abgebrochen. Hier und da ziehe ich mir auch mal eine Linie Kokain rein. Alles klar?« Sie schwieg einen Moment. »Ich hab irgendwie das Gefühl, dass diese Leute durch mich hindurchsehen werden.«
Ich verstand sie, obwohl ich bis zu diesem Augenblick noch überhaupt nicht darüber nachgedacht hatte, ob wir denn hier damit bestehen könnten, dass wir einfach nur Lelands Freunde waren. Nicht darüber nachgedacht, dass uns vielleicht die anderen Gäste nicht nur nach unseren billigen Kleidern und Schuhen, sondern auch nach unseren Jobs und unserem Einkommen beurteilen könnten. Seit Henry und ich verheiratet waren, hatte ich nur sehr unregelmäßig gearbeitet und war meistens zu Hause bei den Kindern geblieben. Der letzte Job, der es überhaupt wert gewesen wäre, in meinem Lebenslauf erwähnt zu werden, war wahrscheinlich der einer Empfangsdame im Friseursalon von Wabasha gewesen.
»Hast du vielleicht ’ne Zigarette?«, fragte ich.
»Aber klar !«, antwortete sie.
Sie reichte mir eine Zigarette, zündete sie für mich an und steckte sich dann selbst eine an.
»Weißt du, wer wir sind?«, fragte ich. »Heute Abendwerde ich entweder Chefköchin oder Restaurantbesitzerin sein. Das habe ich noch nicht ganz entschieden. Und ich glaube, du solltest …« Ich musterte Lucy einen Moment lang, während ich an einer von ihren Misty 120ern zog. »Ich glaube, du solltest Fotografin sein. Oder nein, noch besser, eine Malerin.«
Sie lächelte. »Was fotografiere ich denn? Oder, äh, was male ich so in meinen Bildern?«
»Aktbilder.«
»Ja, in dem Bereich kenne ich mich etwas aus«, sagte sie.
Ich reichte ihr meinen Arm. »Lass uns ein wenig spazieren gehen. Ich glaube nicht, dass sie uns so schnell vermissen werden.«
Wir lachten, während wir mit lautem Klappern den Bürgersteig entlanggingen; zwei ungleiche, vom Schicksal plötzlich zusammengeschweißte Freundinnen. Unsere Absätze hatten mit den Pflastersteinen schwer zu kämpfen und mussten sich meist geschlagen geben. Mir taten schon die Füße weh, noch bevor wir auf die Party zurückkehrten.
Chloe hatte abgenommen, wie ich feststellte. Ihre Arme waren zu dünn und die Venen an ihren Füßen hatten eine seltsame hellblaue Farbe. Sie begrüßte uns überaus herzlich und machte Lucy sofort ein Kompliment über ihr Kleid und ihren Nagellack. Ich konnte erkennen, dass Lucy ganz hin und weg war und dass ihre Hemmungen ein wenig dahinschmolzen. Sie hielt ihr Champagnerglas in der Hand, als hätte sie nie etwas anderes getan, und achtete darauf, dass Ronny immer eng an ihrer Seite blieb.
Sie hatte ihn sofort ausfindig gemacht, als wir uns dann endlich doch zu der Party gesellt hatten. Er stand an einem Tisch mit Horsd’œuvres, wo er sich gerade eine Traubenach der anderen in den Mund warf. Ich fragte mich, was wohl die anderen Gäste von ihm halten mochten, von ihnen beiden, aber ich wusste auch, dass Ronny das vollkommen egal war. Er grinste breit, als wir ihm entgegengingen, und nahm einen großen Schluck aus seiner Cola, während er eine Hand lässig auf seiner riesigen Gürtelschnalle ruhen ließ.
»Die haben doch glatt Limettensaft in meine Cola geschüttet«, sagte er und neigte sich vertraulich zu mir hinüber. »Ich find’s gar nicht so übel.«
»Das ist sehr weltmännisch von dir, Ronny Taylor.« Ich nahm mir vor, immer in seiner Nähe zu bleiben und ein Auge auf die Kellner zu haben, die mit ihren Tabletts voll leicht zu greifender Cocktails durch die Wohnung liefen.
»Wo ist Leland?«, fragte ich Chloe.
»Oh, ich glaube, er ist draußen auf der Terrasse. Er hat euch gesucht. Soweit ich weiß, ist Henry bei ihm«, sagte sie, drückte leicht meinen Arm und entschuldigte sich dann, um sich um andere Gäste zu kümmern.
Es gab in dem langgezogenen und hochaufragenden Raum einzeln verstreute Gesichter, die ich wiedererkannte – aus Zeitschriften oder aus dem Fernsehen. Die meisten von ihnen waren Schauspieler. Aber es waren auch Musiker da – Musiker, deren CDs, wie ich wusste, meine Tochter Eleanore zu hören begonnen hatte, in der Abgeschiedenheit ihres noch immer rosafarbenen Kinderzimmers. In diesem Moment wurde
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