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Shotgun Lovesongs

Shotgun Lovesongs

Titel: Shotgun Lovesongs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nickolas Butler
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langweilig, immer derselbe Kram? Möchtest du nie mal aus Little Wing rauskommen? Nicht einmal für ein Wochenende?«
    Er drehte den Kopf von mir weg und räusperte sich. »Ich weiß nicht«, sagte er. »Willst du das denn?«
    »Vielleicht«, antwortete ich.
    Ich dachte an unsere Kinder. Daran, wie es morgens an den Wochenenden war.
    »Aber es ist doch okay«, sagte ich, »wenn man ab und zu mal eine Pause macht, findest du nicht? Oft sehen die Dinge gleich viel besser aus, wenn man mal für eine Weile weg war.«
    Ich lag auf dem Rücken und für einen kurzen Moment ging mir der Gedanke durch den Kopf, wir könnten noch ein Kind machen. Ich legte die Hand auf meinen Bauchnabel.
    Henry richtete sich langsam auf, setzte die Füße auf den Boden und vergrub den Kopf in seinen Händen. »Guter Gott«, sagte er. »Champagnerblasen. Es fühlt sich so an, als würden sie gerade überall in meinem Schädel platzen.« Ich schaute ihm dabei zu, wie er sich hinstellte, seinen Bauch kratzte und dann ins Bad trottete. Ich kletterte ebenfalls aus dem Bett, zog die Vorhänge auf und stellte mich eine Minute lang splitterfasernackt ins Licht der Mittagssonne. Währenddessen suchte ich sorgfältig alle Fenster danach ab, ob mich jemand beobachtete, aber da war niemand. Dann zog ich die Vorhänge wieder zu und ging ins Bad. Henry saß zusammengesunken auf der Toilette und stützte seinen Kopf mit den Fäusten ab.
    »Komm, wir suchen uns hier irgendwo einen Kaffee«, sagte ich.
    ...
    Unser Kunstlehrer auf der Highschool hieß Roger Killebrew. Was ihn nach Little Wing verschlagen hatte, konnte niemand von uns sagen, aber er war schon seit einer Ewigkeit dort und hatte sogar schon meine Mutter unterrichtet. Er war eine sehr elegante Erscheinung, mit dunklen braunen Haaren, die er ganz offensichtlich färbte. Immer trug er handgeschneiderte Tweedanzüge, die feinsten Lederschuhe und roch nach einem Rasierwasser, das er unmöglich in der hiesigen Drogerie oder dem Supermarkt gekauft haben konnte.
    Ich denke ziemlich oft an Mr Killebrew. Aber am häufigsten kommt er mir in den Sinn, wenn ich in einer Großstadt bin. Also überraschte es mich nicht, dass Erinnerungen an unseren Malunterricht in der elften Klasse in mir hochkamen, während Henry und ich auf der Suche nach einem Café durch die Straßen von New York liefen. Damals lernten wir gerade etwas über die abstrakte moderne amerikanische Malerei – Killebrew hatte eine Diashow vorbereitet und einige der Jungen in unserer Klasse kicherten, als sie die Bilder von Rothko und Pollock sahen.
    »Jungs!«, bellte Killebrew. »Habt ihr etwas Erhellendes zu der Diskussion beizutragen?«
    Ich erinnere mich nicht an den genauen Wortlaut, aber Henry, eine siebzehnjährige Ausgabe von Henry, sagte so etwas wie: »Nur Leute in der Großstadt können so dämlich sein und einen Haufen Geld für so einen Müll ausgeben.« Die anderen Jungen in der Klasse lästerten derweil im Flüsterton wie immer über Killebrews Kleidung, seine Gestik,die affektierte Art, wie er seine Handgelenke verdrehte, seine Fistelstimme, sein Rasierwasser, seinen schläfrigen Blick und sein unverkennbares Kleinstadtjunggesellentum.
    Aber ich erinnere mich noch genau daran, wie Ronny plötzlich verkündete: »Malen ist schwul.« Die ganze Klasse brach in Gelächter aus und die anderen Jungs klatschten Ronny begeistert ab, so als hätte er gerade den spielentscheidenden Touchdown erzielt und dann den Football herausfordernd in den Boden gerammt.
    Mr Killebrew schaltete den Diaprojektor aus, durchquerte den Raum, um das Licht einzuschalten, und stellte sich dann wieder vor die Klasse. Er lehnte sich gegen die Tafel und schwieg, starrte einfach nur vor sich hin, während er sich mit den Händen an der Kreideablage hinter sich abstützte. Er wartete auf uns. Er wartete vielleicht eine Minute oder auch fünf, ich weiß es nicht mehr. Aber ich erinnere mich daran, dass ich Mr Killebrew in diesem Moment liebte , weil er anders war als alle Männer, die ich sonst kannte. Jedes Jahr fuhr er mit dem Kunstkurs nach Chicago. Er hatte Freunde dort, manche von ihnen im Hotelbusiness, anderen gehörten Restaurants oder Cafés. So kam es, dass wir ein Wochenende lang in den Genuss des Feinsten kamen, was die Stadt zu bieten hatte: Wir übernachteten in einem teuren Hotel, gingen für jede Mahlzeit in ein anderes Restaurant und zwei Tage lang erkundeten wir das Art Institute und ließen uns vor diesen riesigen grünen Löwen am Eingang

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