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Shotgun Lovesongs

Shotgun Lovesongs

Titel: Shotgun Lovesongs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nickolas Butler
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fotografieren. Unsere Welt war eigentlich ziemlich eng, aber Roger Killebrew sorgte dafür, dass sich unser Horizont zumindest nach Süden bis Chicago ausdehnte.
    Als es im Klassenzimmer endlich still war, sagte er: »Als Erstes möchte ich, dass ihr euch die Stadt als eine Ansammlung von Menschen vorstellt. Das ist nicht schwer,oder? Wenn ihr an Minneapolis oder Chicago oder Milwaukee denkt, dann denkt an Hunderttausende von Menschen. Millionen Menschen. Das ist das Erste, was einem dazu einfällt. Vielleicht denkt ihr auch an Wolkenkratzer, kann schon sein. Aber ich denke an die Menschen. Und das Nächste, woran ihr denken solltet, sind Ideen. Stellt euch jeden einzelnen dieser Millionen Menschen als eine Ansammlung von Ideen vor. Wie zum Beispiel, diese Frau da ist eine Ballerina, sie denkt übers Ballett nach . Oder dieser Mann dort ist ein Architekt, er denkt über Gebäude nach . Wenn ihr einmal angefangen habt, euch das in dieser Weise vorzustellen, dann ist eine Stadt der wunderbarste Ort auf Erden. Millionen von Menschen, die einander begegnen, Ideen austauschen, die ganze Zeit, jede einzelne Stunde jedes einzelnen Tages.«
    »Aber wir wohnen nicht in der Stadt«, sagte Cameron Giroux. »Wir wohnen hier.«
    »Und das hier ist ein guter Ort«, sagte Killebrew. »Ich liebe es, hier zu sein. Aber seid nicht ganz so schnell mit eurem abfälligen Urteil über die Großstadt. Auch in der Stadt wohnen gute Menschen. Und nicht alle sind Maler oder Bildhauer. Denkt mal an eure Lieblingsbaseball- oder Footballspieler. Glaubt ihr denn, sie hätten ohne Städte einen Job? Glaubt ihr, es würde ohne Städte irgendwelche Stadien für die Fans geben?«
    »Ich verstehe das nicht«, sagte Ronny. »Ich dachte, wir reden über Gemälde.«
    Killebrew ging zu Ronnys Pult und stellte sich direkt davor. Er mochte Ronny, trotz seiner Begriffsstutzigkeit. »Das tun wir auch«, sagte Killebrew.
    ...
    Während ich, ganz in die Stadt versunken, in einem Café in der Nähe der Sechzigsten und Wasauchimmerwievielten Straße saß, meinen Kaffee schlürfte und Croissants aß, sagte ich zu Henry: »Lass uns ins Kunstmuseum gehen, okay? Wir haben noch genug Zeit.«
    »Im Ernst?«, fragte er. »Die ganze Stadt steht dir offen und du willst dir ein paar Gemälde anschauen? Das kannst du auch in Minneapolis.« Er hielt seinen Kopf und zuckte jedes Mal zusammen, wenn die Ladenglocke über der Tür klingelte, während ein neuer Kunde eintrat oder ein alter ging. Draußen heulten Sirenen, dröhnten Autohupen, pfiffen die Polizisten, die dabei wild mit den Armen gestikulierten. »Verdammt noch mal«, sagte Henry. »Wie soll man in dieser Stadt einen Kater überleben?« Er schloss die Augen und kaute an seinem Croissant herum.
    Ich berührte seine Hand. »Im Museum ist es ganz still«, flüsterte ich. »Das verspreche ich dir.«
    Er öffnete ein Auge, sah mich an und lächelte.
    Die Hochzeit fand in einer Villa statt, die mehr wie eine mittelalterliche Burg aussah, auch wenn die vielen Blumen und sonstigen Dekorationen dazu beitrugen, die scharfen, dunklen Kanten des riesigen roten Backsteinschlosses etwas aufzuhellen und weicher wirken zu lassen. Die Wachmänner am Eingang forderten uns auf, uns auszuweisen. Das Innere des Gebäudes glich einem Schmuckkasten; es war dunkel und stickig, und man hatte den Eindruck, als könne die Luft jeden Moment anfangen zu funkeln und zu schimmern.
    Wir ließen uns brav durch den Raum schieben, wie Figuren auf einem Spielfeld. Ronny und Lucy hielten sich immer eng an unserer Seite, mit offenem Mund und weitaufgerissenen Augen. Filmstars streiften uns im Vorbeigehen, wie leise glühende, träge Kometen. Gesichter, die wir aus den Hochglanzmagazinen im Supermarkt kannten, hier, direkt vor uns , unfassbar schlank, strahlend, schön. Henry hielt das Geschenk von Kip und Felicia so eng an sich gedrückt, als sei es ein Football, während uns ein Spießrutenlauf aus helfenden Armen und Händen erfasste und in den Ballsaal bugsierte, wo uns die uns zugewiesenen Plätze an dem uns zugewiesenen Tisch erwarteten. Wir ließen uns nieder, als gehörten wir zu den Nominierten bei einer Preisgala, bei der es jedoch sehr unwahrscheinlich war, dass man uns aufrief.
    »Du lieber Gott«, sagte Ronny. »So was gibt’s in Wisconsin nicht.«
    »Ich hab so was noch nie gesehen«, sagte Lucy. »Nicht mal in Vegas.« Sie schaute mich vielsagend an. »Und ich habe in Vegas so einiges gesehen.«
    Jeder fand seinen Platz und es herrschte

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