Shotgun Lovesongs
Kaffee mit ins Studio.«
Ich schaufelte Eier und Bohnen in eine Schüssel, legte drei Tortillas darüber, um das Essen warm zu halten, und nahm dann alles mit nach draußen. Keine Jacke, keine lange Unterhose. Im Studio stieß ich die Tür mit dem Fuß hinter mir zu, stellte das Essen oben auf den Holzofen und machte ein Feuer. An diesem Tag vollendete ich Shotgun Lovesongs . Ich arbeitete ohne Unterbrechung. Wenn ich mal musste, ging ich einfach nach draußen, außer Sichtweite vom Farmhaus und von Beas Fernglas und pinkelte in eine Schneewehe. Wenn ich Hunger hatte, rannte ich ins Haus und holte mir noch ein paar Tortillas und etwas mehr Kaffee. Es war Sonntag, der einzige Tag in der Woche, an dem die Mexikaner freihatten. Sie lungerten im Wohnzimmer herum, schauten Collegefootball, Profiwrestling, eine Dokumentation über Buckelwale. In der Küche stand eine Menudosuppe auf dem Herd und der Dampf beschlug die Fenster. Auf irgendeine geheimnisvolle Weise schien jeder zu verstehen, was vor sich ging, was ich gerade tat. Wann immer ich das Haus betrat, nickten sie mir einfach nur zu. Sie kochten immer neuen Kaffee. Als ich nach Einbruch der Dunkelheit wieder ins Haus kam, wartete auf dem Tisch ein Apfelkuchen auf mich und die ganze Küche roch nach Zimt und Muskatnuss.
Man nennt sie Shotgun Weddings – eine Heirat mit Schießgewehr –, weil der Vater der Braut dem Bräutigam währenddessen ein Gewehr in den Rücken drückt. Vorher istirgendwas geschehen. Eine Schwangerschaft, ein verlorenes Jungfernhäutchen, ein Bankrott, der Ausbruch eines Krieges. Was auch immer passiert ist, diese Hochzeit wird jetzt vollzogen, und zwar schleunigst. Es wird nichts geplant. Es geht sofort zum Standesamt und dann gibt es allenfalls einen kleinen Empfang im Untergeschoss der Kirche, deren Gemeinde die Braut angehört, ohne Alkohol. Keine Flitterwochen, keine Dosen, die hinter der Limousine des Brautpaars herscheppern.
Genau so dachte ich auch über Shotgun Lovesongs . Während ich daran arbeitete, fühlte es sich an, als würde ich mir selbst ein Gewehr in den Rücken drücken. Ich spürte den Druck, diesen unglaublichen Druck, es zu tun , zu vollenden, es Little Wing zu beweisen, Beth, Kip, Ronny und Henry zu beweisen, dass ich kein Versager war. Dass ich etwas schaffen konnte, etwas Schönes und Neues und Bemerkenswertes und dass ich es auf schnelle schmutzige Art einfach so hinbekam, in einem Hühnerstall, nur mit meinem kleinen armseligen PC und einem Holzofen, der mich vor dem Erfrieren bewahrte.
Dieses Album, dessen Produktion mich im Grunde genommen genau sechshundert Dollar gekostet hat, hat 1,6 Millionen Exemplare verkauft. Es verkauft sich immer noch. Jede Woche verkauft es sich besser als in der Woche davor. Und die Liebeslieder: Ich habe sie alle für Beth geschrieben.
...
Ich fuhr mit dem Umzugswagen nach Little Wing, am Steinbruch und am Golfplatz vorbei, über die Eisenbahnschienen und über einen kleinen Bach, der keinen Namen hat. Da war die Mühle, Kips Mühle. Davor standen zahlreichePick-up-Trucks, und es war sogar ein Güterzug da, der eine Ladung Mais entgegennahm. Die Luft schien stillzustehen, während der gelbe Maisstaub hinauf in den Himmel stieg. An dem höchsten Turm der Mühle hingen an der Seite mehrere Plattformen herab, auf denen Anstreicher hin und her liefen. Am höchsten Punkt war das zerschundene Grau der Mühle bereits einem cremigen Honigton gewichen. Vor dem Hintergrund des blauen Himmels schien dort oben ein winziges Stück Wohlstand Einzug gehalten zu haben. Doch weiter unten, dort, wo die Maler noch nicht hingekommen waren, sah die Mühle noch immer wie ein Gebäude aus, das zu viele Winter erlebt hatte. Ich fuhr weiter. Nach Eau Claire waren es immer noch zwanzig Meilen.
Henry wartete bereits auf dem Parkplatz der Umzugsfirma auf mich. Er stand gegen seinen Pick-up gelehnt. Wir begrüßten uns mit einer herzlichen und kräftigen Umarmung und lächelten uns an.
»Du siehst aus wie ausgekotzt«, sagte Henry.
»Schön, wieder zu Hause zu sein.«
»Was musst du hier noch tun?«
»Nur noch den Schlüssel abgeben, dann können wir uns aus dem Staub machen. Ich würde gern was einkaufen. Ich brauche dringend Bier.«
Nachdem ich meine Vorräte aufgestockt hatte, fuhren wir zurück nach Little Wing. Im Auto herrschte eine gespannte Stille und die Luftpartikel zwischen uns waren vor lauter Wiedersehensglück wie elektrisch geladen, auch wenn wir beide irgendwie nicht wussten, was wir
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