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Shotgun Lovesongs

Shotgun Lovesongs

Titel: Shotgun Lovesongs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nickolas Butler
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sein, für ein anderes menschliches Wesen verantwortlich zu sein.
    Henry tippte die Nummer in mein Haustelefon und schaute zu mir rüber. »Bei dir alles in Ordnung, Kumpel?«, fragte er sanft. »Wir müssen uns nicht besaufen, wenn du nicht magst. Wir könnten uns einfach nur einen Kaffee kochen und dann etwas spazieren gehen. Keine Ahnung, oder wir machen ein Feuer oder so. Schauen nach, ob mitdeinem Wagen alles in Ordnung ist. Basteln ein bisschen am Traktor rum.«
    Ich stand vor der Spüle, stützte mich mit den Armen darauf ab. Draußen vor dem Fenster, ein Stück unterhalb des Hauses, stand der Kojote am Rand der Baumgrenze, wo die Sumachbäume nicht mehr wachsen können, weil es dort zu viel Schatten gibt. Ich fing lautlos an zu weinen – ich konnte mich nicht mehr beherrschen, es brach einfach so aus mir heraus. Ich beugte mich über die Spüle, mit bebenden Schultern, und mir brach das Herz, in einer Weise, wie es in New York nicht gebrochen war. Ich konnte spüren, wie meine Lungen nach Sauerstoff rangen – ich hatte vergessen zu atmen – und als ich endlich den Mund öffnete, brach ein Schluchzen aus mir heraus. Ich konnte nur noch schluchzen. Ich schämte mich. Und ich war unendlich traurig. Wir würden uns scheiden lassen. Wir waren auseinandergegangen. Gescheitert.
    Henry legte das Telefon leise zurück auf die Gabel. Ich hörte, wie er sich hinter mich stellte, nah hinter mich, aber er berührte mich nicht, obwohl ich wollte, dass er es tat. Aber ich verstand auch, warum er es nicht tat, warum ein erwachsener Mann einen anderen nicht berühren kann, selbst wenn es das Richtige wäre.
    »Was für eine Scheiße«, sagte ich. »Verstehst du? Sie hat mich verdammt noch mal verlassen.« Ich zog an den Haaren auf meinem Kopf, zog an meinen großen roten Ohren. Mein ganzes Gesicht war rot und heiß und tropfte. Ich hängte den Kopf in die Spüle und ließ es laufen, ließ alles aus mir herauslaufen, hinunter in das Porzellanbecken, hinunter in den Abfluss. Mein Geflenne erzeugte dort unten eine Art Echo, und das ernüchterte mich wieder etwas. Ich wollte nicht, dass Henry mich so sah, ich wolltenicht, dass überhaupt irgendjemand mich so sah. Ich drehte den Wasserhahn auf, spürte das kalte Wasser auf meinem Gesicht und ließ es über meine Hände laufen, benetzte mir den Hals, die Augen, die Nase. Dann holte ich Luft, atmete tief ein und wischte mir das Gesicht mit dem Arm ab. Der Rotz und die Tränen glitzerten auf meinen Tattoos. Als ich das erste Mal duschte, nachdem ich mir ein Tattoo hatte machen lassen, hatte ich Angst, die Tinte könnte einfach so wieder herauslaufen. Mittlerweile sind sie ganz verblichen, wie alte Graffiti. »Tut mir leid, Mann. Keine Ahnung, was da über mich gekommen ist.«
    »Ich nehme an, das ist wohl ein Nein auf die Frage, ob die Kinder mitkommen sollen«, sagte Henry.
    Ich lachte und wischte mir die Nase ab. Aber ich konnte Henry noch immer nicht ins Gesicht sehen. Ich starrte wieder aus dem Fenster und der Kojote schien zurückzustarren. Eine Krähe flog über den Hügelkamm, schwarz und glänzend.
    »Ich koch uns mal Kaffee«, sagte Henry.
    »Henry, kann ich dich um einen Gefallen bitten?«
    »Alles, was du willst«, antwortete Henry. Ich muss unendlich schwach gewirkt haben, unendlich traurig.
    »Lass mich nicht allein, okay?«
    Und dann umarmte Henry mich doch und ich fing wieder an zu weinen, aber er drückte mich so fest, dass er mir genauso gut die Rippen hätte brechen können. Er würde ganz offensichtlich nicht loslassen, bevor ich nicht aufgehört hatte zu weinen. In diesem Moment verstand ich, was für ein Vater er war, was für ein Ehemann, was für ein Mann. Ich verstand, dass er stärker war als ich, besser als ich.
    Wir setzten uns neben den Bach, teilten uns einen Joint und schauten dem Waser zu, wie es die abgefallenen Blätter zum Mississippi trug. Ich hatte mich schon seit Wochen nicht mehr bekifft und jetzt wurde ich so schnell high, dass die Worte aus meinem Mund strömten wie eine Abfolge von Noten, die ich sehen und berühren konnte – die Buchstaben dieser Wörter hingen dort draußen vor mir in der Luft, wie ein Alphabet-Spruchband, das in die Ferne schwebte.
    »Das ist mir jetzt wirklich peinlich«, sagte ich. »Tut mir echt leid, Mann. Tut mir leid, dass du das da drinnen mit ansehen musstest. Ich weiß auch nicht. Ich bin so wahnsinnig traurig. Ich bin traurig und verwirrt und habe keine Ahnung, was hier eigentlich passiert. Ich bin einer von

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