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Shotgun Lovesongs

Shotgun Lovesongs

Titel: Shotgun Lovesongs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nickolas Butler
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Wohnwagen hausen, Meth kochen oder Benzin schnüffeln oder was sie da sonst noch so alles abziehen. Felicia ist ein interessanter, freundlicher und großzügiger Mensch und sie ist immer absolut aufrichtig und ehrlich mit mir umgegangen.
    Und jetzt das. Noch eine Scheidung. Bevor Henry und ich geheiratet haben, zwang uns unsere Kirche, zu einer vorehelichen Beratung zu gehen. Wir machten Kompatibilitätstests, sprachen über Geld und über Kinder. Die Eheberaterin war überrascht zu hören, dass wir uns schon kannten, seit wir Kinder waren.
    »Das ist ziemlich ungewöhnlich«, sagte sie. »Heutzutage.«
    Es lässt sich nicht leugnen: Die Hälfte aller Ehen wird wieder geschieden. Aber es ist doch nicht so, als ginge man durchs Kirchenschiff nach vorn und dort würde einen der Pastor oder Priester dann fragen: Und, was darf’s sein? Kopf oder Zahl? Lee und Chloe und jetzt Kip und Felicia. Und seit Lee den Verstand verloren hatte und unbedingt ausplappern musste, was vor fast zehn Jahren passiert ist, war Henry so wütend auf mich, wie er es noch nie zuvor gewesen war. Zusammengenommen war das alles fast mehr, als ich ertragen konnte. Und so saßen wir noch lange schweigend da, nachdem wir unsere Cocktails getrunken hatten, Felicia und ich, im Halbdunkel dieses alten Ziegelbaus, des VFW-Postens 66.
    Ich konnte es Henry nicht verdenken. Es war ein ziemlich übles Geheimnis gewesen. An jenem Tag, als Lee zurück nach Little Wing gekommen war, hätte ihn Henry eigentlich zum Essen mit zu uns bringen sollen. Aber als ich durch die Haustür zu Henrys Pick-up schaute, saß er einfach nur da, hinterm Steuer, mit laufendem Motor, mit diesem Blick in den Augen, als wäre das ganze Licht, mit dem sie sonst erfüllt waren, plötzlich ausgegangen. Vielleicht hätte ich ahnen müssen, was los war, aber das tat ich nicht. Ich rief den Kindern zu, sie sollten den Tisch decken, und das taten sie auch sofort. Sie waren ganz aufgeregt, Lee wiederzusehen, wieder in seiner Nähe zu sein. Ich zog einen Pullover an und ging nach draußen, um zu schauen, was mit Henry los war. Er bemerkte mich erst, als ich direkt neben der Fahrertür stand. Ich musste sogar erst an die Scheibe klopfen. Dann endlich drehte er den Kopf und starrte mich an. Er hatte Tränen in den Augen.
    »Was ist los?«, fragte ich.
    Er drehte sich von mir weg.
    »Jetzt kurbel doch mal das Fenster runter. Ist alles okay? Geht es Lee gut?«
    Aber er kurbelte das Fenster nicht herunter. Er saß einfach nur da. Seine Hände lagen auf dem Lenkrad, wie bei einem kleinen Jungen, der so tut, als würde er einen Lastwagen fahren.
    Ich ging um das Fahrzeug herum, stieg ein und rutschte auf der Sitzbank zu ihm heran. Er vermied es, mich anzusehen. Also griff ich mir sein Gesicht und drehte es zu mir.
    »Lass deine Finger von mir«, bellte er. » Fass mich nicht an!«
    Ich rückte von ihm ab. Noch nie hatte Henry so mit mir gesprochen. Er hatte noch nie ein lautes Wort zu mir gesagt. Noch nie.
    Er schüttelte den Kopf, so wie er es manchmal tat, wenn eine Rechnung mit der Post kam, und ich wusste, dass er gerade dachte: Wo zum Teufel ist das denn jetzt hergekommen? Wie soll ich denn das jetzt noch bezahlen?
    »Henry, komm schon. Komm ins Haus. Die Kinder.«
    »Lass mich in Ruhe, okay? Scheiße. Könntest du bitte einfach verschwinden?«
    »Baby, sag mir doch bitte, was los ist. Was kann ich tun? Was kann ich tun, um dir zu helfen?«
    Er schaltete das Radio ein. Drehte die Lautstärke hoch. Traditionelle Countrymusik. Stimmen, die wie Hyänen klangen, wie Banshees, wie Sirenen. Ich ging ins Haus zurück.
    Die Kinder fragten, wo denn Onkel Lee sei, und ich sagte ihnen, er sei krank geworden und dass wir ihn alle bald sehen würden. Und obwohl ich nicht wusste, was Lee zu Henry gesagt hatte, war mir doch klar, dass irgendetwaszwischen ihnen vorgefallen war. Wir aßen schweigend – die Kinder und ich – und als es Schlafenszeit war, fragten sie mich: »Ist Daddy immer noch da draußen im Wagen? Können wir auch rausgehen?« Und ich sagte: »Nein, euer Daddy denkt nach.« »Hört er da draußen Musik?«, fragten sie. Und ich sagte: »Ja, ich glaube schon. Und jetzt geht nach oben und putzt euch die Zähne.«
    Ich beobachtete ihn eine Stunde lang durch die Haustür, aber er bewegte sich kein einziges Mal, ließ den Wagen weiter im Leerlauf. Die Countrymusik war laut genug, dass ich Patsy Clines Stimme erkennen konnte und dann irgendwelchen neueren Kram. Um zehn ging ich die Treppe hoch

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