Shotgun Lovesongs
und kroch ins Bett. Ich hatte das Geschirr zum Einweichen in die Spüle gestellt und für Henry einen Teller mit Lasagne auf dem Tisch stehen lassen, falls er noch was essen wollte.
Irgendwann nach Mitternacht hörte ich, wie sich die Haustür öffnete und wieder schloss und Henry sich die Stiefel auszog. Wie er ins Bad ging, pinkelte und sich die Hände wusch. Ich stellte mir vor, wie er sich im Spiegel betrachtete, sein Gesicht wusch, die Barthaare berührte, die im Lauf des Tages gewachsen waren. Aber er kam nicht ins Bett, obwohl ich wartete und wartete, bis die rote Digitaluhr neben unserem Bett 1 : 01 angab. Dann muss ich wohl eingeschlafen sein.
Um vier Uhr morgens wachte ich wieder auf und tastete in unserem Bett nach ihm, aber er war nicht da. Ich stand auf und ging leise nach unten, so leise, wie ich diese Treppen noch nie hinuntergegangen war. Und da war er. Er lag auf dem Sofa, hatte seine Kleider nicht ausgezogen, sich in eine Decke gewickelt und seinen Kopf auf ein viel zu kleines Sofakissen gebettet. Er schreckte hoch, als ich mich nebenihn setzte, und drehte sich zu mir, um mich anzuschauen. Seine Augen waren glasig und sahen müde aus. Ich berührte seine Stirn, strich über seine Haare. Ich war Zeuge gewesen, wie dieser Mann, mein Ehemann, in Zeitlupe alterte, wie die Jahre seine Schläfen ergrauen und seinen Haaransatz zurückweichen ließen und wie seine Knochen anfingen zu ächzen.
»Komm ins Bett«, sagte ich sanft. »Nun komm schon.«
Er sah mich an, als sei ich eine Fremde. »Diese ganzen Jahre«, sagte er, »hattet ihr beide dieses Geheimnis. All diese Abende, wenn er uns besuchen kam. Mein Freund. Mit den Kindern gespielt hat, mein Essen gegessen hat.« Und dann schaute er von mir weg und wandte den Kopf ab.
Ich fing an zu weinen. Es fühlte sich an, als hätte er mich in den Magen geboxt. Ich bekam keine Luft mehr. Mir brach nicht um meinetwillen das Herz. Sondern wegen Henry. Dieser unendlich anständige, gute Mann – mein Ehemann.
»Henry, Henry, es tut mir so leid, Baby.«
»Du hast ihn gevögelt«, sagte er. »Mehr gibt es nicht zu sagen.« Er machte sich nicht die Mühe zu flüstern. Er sagte diese Worte laut, als wäre es ihm egal, wenn die Kinder sie hörten, als wollte er unwiderruflich klarstellen, dass ich es war, die unsere Ehre beschmutzt hatte.
»Henry –.«
»Was gibt es denn noch zu sagen? Hmm? Und jetzt ist dieser Wichser auch noch davon überzeugt, dass er in dich verliebt ist. Das hat er mir selbst gesagt. Gerade noch sind wir im Begriff hierherzufahren, um zusammen zu Abend zu essen, und im nächsten Augenblick sagt er zu mir: Ich glaube, ich bin in Beth verliebt . Scheiße. Wir wohnen in einem Ort mit tausend Menschen, Beth. Wie lange wird es wohl dauern, bis die Leute anfangen zu reden, he? Bis die Leuteim Flüsterton über uns tratschen, wenn ich nur durch den Ort laufe? Scheiße!«
Er schob seine Beine vom Sofa und sie stießen grob gegen meine. Es war nicht gerade ein Tritt, aber es wurde deutlich, dass Henry in diesem Augenblick meinen Körper nicht mit derselben Rücksicht behandelte wie sonst. Er setzte die Füße auf den Boden, senkte den Kopf zwischen die Knie und fuhr sich mit den Händen durch die Haare. »Ich kann nicht schlafen«, sagte er. »Jedes Mal, wenn ich die Augen zumache, jedes Mal stelle ich mir von neuem vor, wie du und …« Er stand auf und atmete so laut aus, dass ich dachte, die Kinder würden davon aufwachen. Dann sagte er: »Ich fahr mal was durch die Gegend.«
»Es ist vier Uhr morgens«, protestierte ich. »Komm ins Bett. Bitte. Bitte komm einfach nach oben ins Bett.«
Ich sah ihm zu, wie er seine Stiefel zuschnürte, seine Arme durch die Jackenärmel steckte. Die Schlüssel in seiner Hand klirrten laut.
»Fahr zur Hölle«, sagte er. »Hörst du? Ich liebe dich, aber fahr zur Hölle .«
Dann knallte er die Tür hinter sich zu und ließ den Motor des Pick-ups an. Die Scheinwerfer leuchteten plötzlich so hell in unser Wohnzimmer hinein, dass ich mich abwenden und mir die Hand vors Gesicht halten musste. Und dann fuhr er die Auffahrt hinunter, bog auf die Landstraße und war weg.
...
»Ich habe ihn bestimmt tausend Mal gefragt, warum er unbedingt hierher zurückkommen wollte«, sagte Felicia. »Er konnte es mir nie wirklich erklären. Er fing dann immer an,über die Mühle zu reden oder über seine Freunde, und ich habe ja versucht, es zu verstehen. Ich habe geglaubt, ich würde es verstehen. Dass er nach Hause
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