Shotgun Lovesongs
zurückkommen und von Menschen umgeben sein wollte, die er kannte. Ich verstehe es ja auch. Aber andererseits frage ich mich – obwohl er es mir nie explizit so gesagt hat –, ob Kip jemals wirklich hier reingepasst hat. Ich meine, damals schon, als ihr alle noch Kinder wart. Und ich bitte dich ja gar nicht, es mir zu erzählen. Ich glaube, ich weiß die Antwort sowieso schon.«
Ich trank noch einen Cocktail und dann einen Schluck Bier. Draußen war das Tageslicht fast vollständig einem nächtlichen Blau gewichen. Vor zwei Stunden hatte ich Henry angerufen und ihn gebeten, die Kinder abzuholen. Es war zwischen uns ein wenig einfacher geworden. Wenn er mit mir sprach, war ein bisschen von dem Eis in seiner Stimme weggetaut. Er hatte sogar angefangen, mich wieder zu berühren und es zuzulassen, dass ich ihn berührte. Wir schliefen wieder miteinander, auch wenn ich in manchen Augenblicken merkte, dass die Art, wie er mich vögelte, nicht mehr nur mit Liebe zu tun hatte. Es war auch Wut darin. Ich konnte das verstehen. Dass es da wahrscheinlich einen Teil von ihm gab, der mich gerne geschlagen und geschüttelt hätte. Aber das würde er nie tun. Das konnte er gar nicht. Henry war ein sanfter, gütiger Mann. So zärtlich zu unseren Kindern. Es gab Zeiten, da wollte ich, dass er explodierte – mich beschimpfte, einen Teller nach mir warf, ein Fenster zerbrach. Aber das konnte er nicht. Niemals. Auch wenn ich glaubte, dass, wenn er es tun würde, wenn er mich mal ein bisschen schubsen würde, die Dinge zwischen uns wieder ein wenig ausgeglichener wären. Stattdessen köchelte es in ihm während dermeisten Nächte nur still auf kleiner Flamme vor sich hin und er drehte sich im Bett von mir weg. Ich wusste natürlich, dass seine Augen dann immer weit geöffnet waren, dass er durch die von Eisblumen überzogenen Fenster unseres Schlafzimmers schaute und dem Schnee zusah, der dort draußen fiel. Ich wusste, dass er an den Frühling dachte, daran, wieder zurück auf den Feldern zu sein, an seine Traktoren, an seine Arbeit, daran, nicht in meiner Nähe sein zu müssen. Er verbrachte mehr und mehr Zeit im Melkstand und die Kinder erzählten, sie würden ihn dort manchmal dabei erwischen, wie er sich mit den Kühen unterhielt. Vielleicht hilft ja der Frühling , dachte ich.
»Ich habe immer schon Kinder gewollt«, fuhr Felicia fort. »Ich wollte ein ganzes Haus voller Kinder.« Sie lächelte mich fast herablassend an. »Das hättest du wohl nicht gedacht, was?«
Ich schaute auf meine Hände, auf die zerkratzte Tischplatte, auf die Bläschen in meinem Bier, die langsam aufstiegen und dann verendeten. Ich wusste, dass ich Felicia nicht in die Augen sehen konnte, ohne dass sie ihre Vermutung darin bestätigt gefunden hätte. Ich hob den Kopf. »Nein. Na ja, vielleicht ein bisschen.«
»Dieser Job, den ich da habe, da bin ich einfach so reingerutscht. Ich kam von der Uni, trug bei meinem ersten Bewerbungsgespräch einen Minirock, bekam den Job und hab ihn seitdem nicht wieder gewechselt. Ich musste nie wirklich darüber nachdenken, was ich eigentlich tun wollte. Was mich glücklich machen würde. Ich bin gut in meinem Job. Wirklich verdammt gut. Darum lassen sie mich auch von zu Hause aus arbeiten. Und darum konnte ich auch hier rausziehen, weg von dem Büro in Chicago. Darum telefoniere ich die ganze Zeit und fliege so viel durch die Gegend.Weil die mich nicht verlieren wollen. Und früher mochte ich meinen Job auch, sehr sogar. Aber weißt du was? Ich habe angefangen zu denken: Das hier lenkt mich nur ab . Es ist eine Falle. Denn wenn ich ehrlich zu mir bin, dann ist das, was ich wirklich will, was ich immer schon gewollt habe, Mutter zu sein. Und dann, wenn ich die Hauptstraße entlangging, sah ich immer diese jungen Tussis.« Sie zeigte durch die Tür, ohne hinzuschauen. »Diese halben Kinder, die ihre Kinderwagen vor sich herschieben. Oder im Supermarkt, wie sie hinter ihren Einkaufswagen herschlurfen, in denen ihre Babys sitzen. Und dann bin ich immer ausgerastet. Verstehst du? Warum zum Teufel dürfen die eine Familie haben und ich nicht? Was mache ich hier überhaupt? Wann fängt denn endlich mein Leben an?«
»Es tut mir so leid«, sagte ich. »Ich – das wusste ich nicht.«
Sie atmete tief aus. »Ach, Süße, es ist doch nicht deine Schuld. Er ist schuld daran. Es tut mir leid, dass ich dich mit all dem Scheiß belaste.«
Ich streckte meine Hand aus und sie ergriff sie.
»Es tut mir so leid«, sagte ich noch
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