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Shutdown

Shutdown

Titel: Shutdown Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Anderegg
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hielt den Atem an, während sie sich an eine der vielen vorbereiteten Ausreden zu erinnern versuchte. Die Schritte entfernten sich wieder.
    »Fucking Computer!«, fluchte der Mann, dann knallte er die Tür hinter sich zu.
    Ihr Zeitplan geriet ins Wanken. Erst mit einer Stunde Verspätung stand sie am Eingang zur Sicherheitszone im 19. Stock. Darauf bedacht, das Gesicht vor der Überwachungskamera zu verbergen, zog sie die Plättchen mit den Fingerabdrücken aus der Tasche. Außer dem Zeitverzug war ihre Aktion bisher zufriedenstellend verlaufen. Sie war niemandem begegnet, und auf den Bildern der Videoüberwachung würde man ihre Gesichtszüge nicht identifizieren können. Als wäre sie niemals in diesem Gebäude gewesen, vorausgesetzt, sie entsorgte den neuen Anzug umgehend.
    Ihr Puls beschleunigte sich, als sie das erste Plättchen auf den Scanner drückte. Wenn Jezzus’ Zauber diesmal nicht wirkte, wäre alles umsonst gewesen. Die Anzeige blinkte rot: Zutritt verweigert . Sie versuchte es ein zweites Mal mit dem gleichen Ergebnis. Bevor sie die Prozedur mit dem nächsten Fingerabdruck wiederholte, hielt sie plötzlich inne. Ein kalter Schauer rann ihr über den Rücken. Warum hatte sie nicht früher daran gedacht? Das elektronische Überwachungssystem zeichnete solche Ereignisse auf, wie könnte es anders sein? Mit einem Mal fühlte sie sich wieder auf die Bühne versetzt. Die Gestalt, die ins Allerheiligste von ›TNC‹ einzudringen versuchte, im grellen Scheinwerferlicht für alle, die sie sehen wollten. Es beruhigte sie nicht, dass solche Systeme normalerweise erst nach einigen Fehlversuchen reagierten. Fieberhaft suchte sie den größten und deutlichsten Abdruck unter den restlichen Plättchen. Wieder Fehlanzeige. Vor ihrem inneren Auge blinkten Warnungen auf den Monitoren der Überwachungszentrale. Wie viel Zeit blieb ihr, bis die Sicherheitsleute auftauchten, eine Minute, drei Minuten, zehn Sekunden? Das Geräusch des anfahrenden Lifts sandte ihr kalte Scheuer über den Rücken. Hastig testete sie ein Plättchen nach dem andern, bis die Anzeige endlich grün aufleuchtete beim Vorletzten. Mit leisem Klick öffnete sich das Tor zu den Geheimnissen der ›Trusted News Corp.‹.
    Vorsichtig huschte sie durch den Flur des Trakts, der mit dicken Designerteppichen und zeitgenössischer Kunst an den Wänden eher einer riesigen Luxuswohnung glich als einer Bürolandschaft. Die Suiten von Tate und dem Don lagen sich gegenüber. Beide Türen standen offen. Es war niemand zu Hause. Sie verdrängte den Gedanken an die Sicherheitsleute und weckte Carmen Tates Computer aus dem Tiefschlaf. Sie brauchte das Passwort, wieder drei Versuche. Die Post-it Zettel am Monitor gaben das Geheimnis nicht preis. Tastatur und Mausmatte schwiegen ebenso. Sie begann, den Schreibtisch systematisch zu durchsuchen, eine Arbeit, die sowieso zu ihrem Plan gehörte.
    Im Flur fiel eine Tür ins Schloss. Schritte näherten sich, die Schritte einer Frau in Eile. Jen gefror das Blut in den Adern. Ihre Gedanken drehten sich im Kreis, doch die seit früher Kindheit erworbenen Reflexe retteten sie im letzten Moment, bevor Carmen Tate das Büro betrat. Jen kauerte in der hintersten Ecke im Kabelgewirr unter dem Schreibtisch und hielt den Atem an. Schlanke Beine in schwarz glänzenden Lackhosen mit Füssen in High Heels an der Grenze zur Extravaganz stellten sich keine zwei Fuß vor ihren Augen auf. Die Frau roch himmelblau. Die Farbe flimmerte wie die Luft an einem heißen Sommertag. Sie erinnerte entfernt an Rebeccas betörenden Duft. Jen fühlte sich sofort zu Carmen Tate hingezogen und schämte sich dafür. Die Reaktion verwirrte sie so sehr, dass sie die Angst, entdeckt zu werden, verdrängte.
    Das Telefon auf dem Tisch klingelte.
    »Tate?«, sagten die Beine lauernd. Kurze Pause. »Was soll nicht in Ordnung sein? Ich sage Ihnen, was nicht in Ordnung ist: Hier oben brennt die ganze verdammte Nacht das Licht. Und jetzt lassen sie mich in Ruhe.«
    Jen grinste wider Willen. Sie mochte diese Beine. Tate suchte etwas auf ihrem Schreibtisch, das offenbar nicht da war. Sie schnaubte ärgerlich. Ihre Hand fuhr unter die Tischplatte. Nur zwei Zoll vor Jens Nase fand sie den Schlüssel, den ein Magnet dort festhielt. Tate öffnete ein Schubfach. Papiere raschelten, dann glitt das Fach wieder zu, und der Schlüssel wanderte an seinen Platz zurück. Jen hätte beinahe die Hand aufgehalten und sich bedankt. Die Beine entfernten sich. Das leise Rauschen der

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