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Shutdown

Shutdown

Titel: Shutdown Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Anderegg
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Bleistift geschrieben. Dons Beiträge, nahm sie an. Es war ein dickes Bündel Papier, Material, das sie unmöglich jetzt lesen konnte. Sie hatte schon zu viel Zeit verloren. Beim Blättern fiel ihr jedoch auf, wie oft Carmen Tates Name erwähnt wurde. Vielleicht ein Drittel der Dokumente befassten sich offensichtlich mit Beobachtungen über Carmen Tate und, unterschrieben von ›Steve‹, mit ihren Schwachstellen. Es war das aggressive Gegenstück zu den Notizen über Don, die sie bei Tate gefunden hatte. Noch etwas lag in der Mappe: eine DVD, auf die jemand mit Filzstift den Namen Tate und ein Datum gekritzelt hatte. Jen glaubte, Dons Handschrift zu erkennen. Ohne lange zu überlegen, steckte sie die Disk ein, nahm das Bündel Papier und trat den Rückzug an.
    Das leistungsfähige Kopiergerät im Flur brachte sie auf eine spontane Idee. Im Nu waren die Notizen kopiert. Sie wollte die Originale ins Geheimfach zurücklegen, doch vor Tates offener Tür zögerte sie. Der Don würde den Diebstahl der Disk sowieso bald feststellen, weshalb also die Mühe mit den Dokumenten? Es gab einen besser geeigneten Platz für die Originale. Sie legte das Bündel mit zufriedenem Lächeln gut sichtbar auf Carmen Tates Schreibtisch. Die Frau hatte ein Recht, zu erfahren, wer in ihrem Privatleben schnüffelte.
    Der Rückzug durch das Treppenhaus verlief ohne Zwischenfall bis zur zehnten Etage. Dort flog ihr die Tür entgegen. Bevor sie reagieren konnte, umringten sie vier oder fünf blasse Gestalten. Sie schwatzten durcheinander und eilten mit ihr die Treppe hinunter, ohne sie eines Blickes zu würdigen.
    »Hat sich wieder schwer gelohnt heute«, brummte einer. »Für solche Tests schiebe ich keine Überstunden mehr.«
    »Scheiß IT«, nickte Jerry Waller mitfühlend.
    »Tests können auch mal schiefgehen, Jeff«, sagte die Rothaarige, die als Einzige nicht nach Schweiß und aufgescheuerten Normsesseln roch.
    »Auch wieder wahr«, gab Jerry zu.
    Noch einmal änderte Jen ihren Plan spontan. Statt in der Toilette der Öffnung des Haupteingangs entgegenzudösen, begleitete sie die frustrierten Tester durch den Personalausgang in die Freiheit des nächtlichen San Francisco.
     
    Carmen Tate verzichtete auf die Redaktionskonferenz an diesem Morgen. Zwei Stunden später als üblich fuhr sie in die Tiefgarage, dann nonstop hinauf in die 19. Etage. Sie hatte das bisschen Ruhe verdient, nachdem die Staatsanwaltschaft und Rosenblatt, die elende Zecke, die Ermittlungen gegen ›TNC‹ endlich eingestellt hatten. Ihr allein verdankte der Don die schnelle Rückkehr zum Tagesgeschäft. Sie erwartete keinen Dank dafür, wohl aber ein wenig Nachsicht, wenn sie die Peitsche für ein paar Stunden aus der Hand legte. Der Laden lief auch so weiter – für einen Tag oder zwei. Sie ließ sich starken, kolumbianischen Kaffee und Donuts bringen und setzte sich mit der Zeitung auf einen Klubsessel am Panoramafenster ihres Büros.
    »Ich will nicht gestört werden«, schärfte sie dem Vorzimmer ein.
    Sie erinnerte sich erst wieder an die seltsame Begegnung mit der Putzfrau am Vorabend, als sie nach gründlicher Lektüre zum Schreibtisch schlenderte. Ein Stapel Papierblätter lag neben der Tastatur, der am Abend zuvor noch nicht da gewesen war. Vom Briefträger stammte er nicht. Interne Post wanderte ins Vorzimmer und kam höchstens in der Unterschriftenmappe auf ihren Schreibtisch. Don kam auch nicht infrage. Er war noch nicht im Haus. Hatte die Putzfrau am Ende doch nicht halluziniert? Ohne das Papier zu berühren, begann sie zu lesen. Der Sinn der Notiz auf der ersten Seite blieb ihr verborgen, aber Dons Handschrift zwang sie, weiter zu lesen. Vorsichtig mit zwei Fingernägeln blätterte sie um, als fürchtete sie eine Ansteckung. Sie begann zu verstehen. Ihr schoss das Blut in den Kopf. Der Puls beschleunigte sich. Mit jedem neuen Detail aus ihrer Vergangenheit und ihrem Privatleben kochte der Ärger in ihr höher, bis sie vor Wut platzen wollte. Sie las alles gründlich, manches zwei-, dreimal, weil sie nicht fassen konnte, in welchen Sumpf sie auf einen Schlag geraten war. Benommen blickte sie auf, als es klopfte.
    »Ich sagte doch, ich will nicht gestört werden!«, rief sie zornig.
    Die Tür öffnete sich trotzdem einen Spaltbreit.
    »Verzeihung Madam. Mr. Goodman ist jetzt da. Er möchte Sie sprechen.«
    »Das wird ihm noch leidtun«, murmelte sie.
    Leise zitternd vor Wut raffte sie die Papiere zusammen. Sie zögerte nur einen Augenblick, dann war sie

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