Shutdown
Sie!«
Die Tür schnappte zu wie eine Klappmuschel. Eine kurze, heftige Diskussion entbrannte draußen. Sie verstand nur Schimpfwörter und verzweifelte Anrufe der Jungfrau Maria. Die Stimmen entfernten sich. Der Staubsauger schwieg. Nach einigen Minuten war sie überzeugt, allein zu sein. Grinsend ließ sie sich ins Wasser gleiten, bis nur noch die Nase zu sehen war. Es gab höchstens eine Handvoll Leute, die je das Privileg genossen hatten, in dieser Wanne zu baden, war sie überzeugt. Jerry Waller, alias Jennifer Walker, gehörte ab sofort auch zum exklusivsten Klub der Bay Area. Das warme Wasser duftete dunkelgrün wie die Wälder der Sierra im Sommer.
Übermütig drückte sie auf den Knopf für die Massage-Düsen. Es prickelte augenblicklich von der Schläfe bis zur Zehenspitze. Nicht Wasserstrahlen kitzelten sie, dass sie kraftlos liegenblieb und nichts anderes wünschte, als sich endlos so treiben zu lassen. Sie hatte Musik eingeschaltet, die sie vom ersten Ton an mit sich forttrug wie die Windbö die glücklichen Samen des Bocksbarts. Meilenweit schwebte sie über blühende Felder, dann hinauf in den lichten Himmel. Die Erde verschwand in der schwarzen Tiefe des Alls. Vor ihr tauchte eine neue, blaue Kugel auf. Je näher sie rückte, desto mehr glich sie der Erde, die sie auf den Wellen reitend verlassen hatte. Aber diese zweite Erde war anders. Hier gab es nur das Gute und Schöne, keine Blackouts und Monster und Psychos und zwielichtige Medienkonzerne. Nur Menschen, die es gut mit ihr meinten wie ihre Mutter oder Emma und Rebecca. Menschen, die sie liebte, und sie alle dufteten leuchtend blau wie der ganze Planet. Reglos lag sie im Wasser, scheinbar tot und doch so lebendig wie noch nie. Neue Gefühle übermannten sie. Tränen reinen Glücks rannen über ihre Wangen. Die Menschen auf dieser zweiten Erde trugen sie in ihrem Herzen. Sie war nicht mehr allein.
»Nicht aufhören«, flehte sie mit erstickter Stimme, nachdem der letzte Ton verklungen war.
Niemals zuvor hatten solch unerbittliche Klänge ihre Ohren erreicht. Musik voll Trauer und Hoffnung und Liebe und Schmerz und Güte und Freude. Traumwandlerisch stieg sie aus dem Bad und suchte die Quelle dieser unbegreiflichen Erfahrung noch bevor sie sich abtrocknete. Sie konnte nicht fassen, dass so etwas Schönes und Komplexes existierte, das kein Computerprogramm war. Gustav Mahler, Symphonie No. 5 in cis-Moll , stand auf der CD. Sie hatte den Namen nie gehört, doch das überraschte sie nicht. Dieser Komponist stammte nicht von diesem Planeten. Seine Heimat war die zweite Erde, wohin er sie entführt hatte.
Die Rückkehr in Dons Arbeitszimmer schmerzte. Alles kam ihr fremd vor, und sie selbst gehörte nicht hierher. Sie wanderte einige Zeit ziellos umher, bis sie sich wieder auf ihre Aufgabe zu konzentrieren vermochte. Immer wieder kehrten die Gedanken zurück zur Musik und zauberten ein Lächeln auf ihre Lippen. Selbst wenn sie nichts Belastendes bei Don finden sollte, etwas Neues, ungleich Wertvolleres, würde sie auf jeden Fall mitnehmen. Mahler, der Name ging ihr nicht aus dem Sinn, nie mehr.
Die zweite, gründlichere Durchsuchung des Büros förderte kaum mehr zutage als der erste oberflächliche Blick. Die Telefonzelle war sauber. Selbst ein Safe, der an diesem Ort eigentlich nicht fehlen durfte, war nirgends zu entdecken.
Sie ging zur Bar zurück, um genauer hinzusehen. Der Raum diente keineswegs bloßer Entspannung und seichter Unterhaltung, wie die schalldichte Tür vermuten ließ. Hier fanden wahrscheinlich die geheimen Besprechungen mit dem ›Office P‹ statt, von denen Pat Farmer in Santa Fe gesprochen hatte. Je länger Jen das futuristisch anmutende Barmöbel betrachtete, desto verdächtiger schien es ihr. Die Tischplatte der Theke bildete die einzige Horizontale. Schubladen, Schränke und Regale darunter wiesen alle möglichen Winkel, windschiefen Fassaden, Rundungen und Farben auf, fast wie ein Modell des Stata am MIT. Die Zahl der Fächer und Verstecke passte einfach nicht zur eher bescheidenen Auswahl an Whiskeys, Wodka und anderem Hochprozentigem.
Ohne Verdacht hätte sie die Hohlräume in den Zwischenwänden übersehen. Durch die verspielte Architektur des Möbels fielen die dicken Wände nicht auf. Schon im ersten Geheimfach fand sie eine Aktenmappe mit der Aufschrift ›S.D.‹. Steve Duncan, wie sich rasch herausstellte.
Die Mappe enthielt Korrespondenz, ausschließlich in Handschrift und teilweise tatsächlich mit
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