Shutdown
Bedrohliches verwandelt haben, so wie er sie unter der Hutkrempe hervor ansah. Ohne die Augen von ihr zu lassen, zog er den Stapel Papiere zu sich. Da sie sich nicht weiter verwandelte, begann er zu lesen. Mit offenem Mund studierte er die ersten Seiten, dann blätterte er weiter, überflog den Rest schnell, immer schneller. Schließlich schüttelte er nur noch den Kopf und rang um Worte.
»Wer – woher – Steve Duncan?«
»Der Mann fürs Grobe«, nickte sie.
Endlich schien Jezzus zu begreifen, was die Papiere bedeuteten. Er hieb mit der Faust auf den Tisch, dass die Disk tanzte, sprang auf und rief entsetzt:
»Du warst da drin? Hast du völlig den Verstand verloren? Fuck!«
»Hat sich doch gelohnt«, sagte sie ruhig.
»Fuck, Jen, du bist wahnsinnig!«
Daran könnte etwas Wahres sein, musste sie zugeben. Bisher hatte sie noch kein ›Shrink‹ ernsthaft untersucht, und so würde es auch bleiben. Sie wartete, bis er sich beruhigte, bevor sie ihm berichtete, was er verschlafen hatte.
»Musst du nicht arbeiten?«, fragte sie zwischendurch.
»Ich glaube, ich bin krank.«
»Gut, so kannst du mir helfen, das Material zu sichten.«
Gegen Mittag legte er den Stapel weg. Er betrachtete seine Notizen kritisch, fügte da und dort einen Pfeil hinzu, unterstrich eine Passage oder rahmte sie ein.
»Drei Dinge fallen mir auf«, sagte er. »Erstens: Vieles deutet darauf hin, dass ein Auftrag an ›Office P‹ total aus dem Ruder gelaufen ist, und der Drahtzieher soll dieser Journalist Steve Duncan sein.«
Sie schüttelte den Kopf, wollte etwas erwidern, doch er bedeutete ihr, erst zuzuhören.
»Zweitens: Carmen Tate wird systematisch als Komplizin aufgebaut. Immerhin war sie mal mit Steve liiert. Ich glaube, sie soll mit dem Material erpressbar gemacht werden. Drittens: Es gibt keinen Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen dem Medienkonzern des Don Goodman und der Operation Shutdown.«
»Blödsinn!«, brauste sie auf. »Wir wissen beide, dass es diesen Zusammenhang geben muss. Steve Duncan handelt doch nicht allein.«
Zu ihrer Überraschung stimmte er zu. »Schon, aber es ist das Bild, das ein Anwalt aus diesen Notizen konstruieren wird.«
»Es gibt Anwälte und Anwälte«, entgegnete sie trotzig.
Sie wusste, dass er recht hatte. Der Don roch nicht nur gut, er war auch gefährlich clever und verfügte über nahezu unbeschränkte Mittel. Ihre Theorie über die wahren Schuldigen am Blackout, dem Verlust der Familie, der Hetzjagd auf Jen Walker, ›PACTA‹ und der ganzen Scheiße stand immer noch auf tönernen Füssen.
»Vielleicht finden wir die ›smoking gun‹ auf der DVD«, murmelte sie.
Es klang wenig überzeugt, denn die Disk war nur mit ›Tate‹ angeschrieben. Schmutzige Einzelheiten, um Tate bei Bedarf mundtot zu machen, nahm sie an.
»Noch etwas fällt mir jetzt auf«, sagte Jezzus und deutete auf eines seiner Notizblätter.
Es enthielt eine Liste mit Namen und Linien, die alle direkt zum Namen des Medienmoguls führten.
»Leute, mit denen er kommuniziert«, stellte sie fest. »Was ist daran so auffällig?«
»Schau dir die Liste genau an.«
Die meisten Namen kamen ihr bekannt vor. Hohe Tiere in Dons Imperium. Alle bis auf einen.
»Gamov. Wer ist das?«
Jezzus lächelte anerkennend. »Frage ich mich auch.«
Sie klappte den Laptop auf. Sergei Gamov versteckte sich nicht im Netz. Er besaß ein unauffälliges Facebook Profil, twitterte ab und zu über neue technische Spielzeuge und beschrieb seinen Job im Business-Netzwerk als Head of IT bei ›TNC‹, San Francisco .
»Merkwürdig«, sagte Jezzus. »Der Don verkehrt sonst nur mit Leuten auf Augenhöhe.«
»Gamov ist immerhin Chef der Informatik.«
»Das heißt, er untersteht dem Chief Technology Officer der Gruppe. Warum kommuniziert der Don so häufig mit dem kleinen Gamov, statt mit dem CTO auf Stufe Geschäftsleitung?«
»Man müsste ihn fragen«, schmunzelte sie, »oder Gamov.«
»Vielleicht hängt es mit Tate zusammen. Möglich, dass du etwas auf der Disk findest.«
Sein Handy piepste. Nach einem kurzen Blick auf die SMS stand er auf und entschuldigte sich mit besorgter Miene:
»Man braucht mich im Geschäft, sorry.«
»Du bist krank.«
»Nicht unter diesen Umständen.«
Für kurze Zeit übermannte sie die Müdigkeit, nachdem er gegangen war. Sie nickte am Tisch neben dem Computer ein. Im Halbschlaf glaubte sie, ein Klingeln zu hören. Sie schlug die Augen auf, sah die Nachricht auf dem Bildschirm und war auf einen Schlag
Weitere Kostenlose Bücher