Shutdown
wollen wir diesen Wahnsinn noch dulden? Braucht es erst einen nationalen Notstand, Tote, noch mehr Tote, bis unsere Politiker erwachen? Es ist Zeit, dass man in Washington beginnt, Nägel mit Köpfen zu machen!«
Mike stürzte den Rest seines Biers hinunter. »Warum gibt's nie einen Stromausfall, wenn man ihn braucht?«, seufzte er und wischte sich den Schaum von den Lippen.
Jen hatte sich genug geärgert. Sie legte die Zeche auf die Theke und nickte den andern stumm zu.
»Ich glaube, der Mann hat wirklich keine Ahnung«, sagte Jezzus und stieg ebenfalls von seinem Hocker.
Linda sah Mike spöttisch an. »Keine unterschwellige Botschaft?«
»Sicher doch. Die Ratte will uns ›PACTA‹ verkaufen. Habt ihr das nicht gemerkt?«
»Als unterschwellig würde ich das nicht bezeichnen«, lachte Jen. »Das war ziemlich unverfroren. Oder was ist das Gegenteil von unterschwellig?«
»Erkennbar, offensichtlich.«
»Ja, genauso war's.«
Alle vier verließen das Lokal.
»Wenigstens scheint nichts von uns durchgesickert zu sein«, stellte Jezzus auf dem Rückweg in die Fabrik fest.
»Wir dürfen die Ratte trotzdem nicht unterschätzen«, warnte Mike. »Zachs Mafia wird unsern guten Jim Ward gewaltig unter Druck setzen und die kleinste Unvorsichtigkeit aus seinem Mund gnadenlos ausnutzen.«
Jen schüttelte den Kopf. »Ward wird im eigenen Interesse die Klappe halten. Was mich mehr beschäftigt, ist die Frage: Wird er zahlen?«
Das war die wirklich wichtige Frage des Abends, auf die keiner eine Antwort wusste.
San Francisco, Kalifornien
»Hi Janice«, tönte es von allen Seiten, als Janice Cooper entspannt und gut gelaunt wie selten durch die Nachrichtenredaktion zur Maske schlenderte. Entgegen ihrer Gewohnheit erschien sie nicht in der letzten Minute zur Arbeit. Das unerwartet harmonische Wochenende nach der überdrehten Hektik der letzten Tage wirkte wie eine Entschleunigung, die bis zum Montagabend anhielt. Es gab keine umwälzenden Ereignisse, über die sie in den Achtuhrnachrichten berichten musste, nur den üblichen Kram, den sie blind beherrschte. Die Räder auf der fünften Etage des ›TN‹ Hauptquartiers schienen sich etwas langsamer zu drehen. Die Zeit reichte gar für das eine oder andere freundliche »Wie geht’s?«.
Sie setzte sich an ihren Platz vor den Spiegel. Die Visagistin schaltete die grelle Beleuchtung ein, die jedes Fältchen und jeden falschen Farbton gnadenlos herausstrich wie die Studioscheinwerfer. Selbst dieser rituellen Bloßstellung hielt die gute Laune stand. Der Assistent reichte ihr die Scripts für die Show. Sie blätterte die Seiten gelangweilt durch, interessierte sich mehr für den Studiomonitor mit der laufenden Sendung über die Vogue Fashion Show. Die Scripts waren dieselben, die sie schon auf ihrem Smartphone studiert hatte. Die Visagistin korrigierte ein letztes zu helles Fleckchen auf der Wange, dann trat sie einen Schritt zurück, beurteilte ihr Werk mit kritischem Blick.
»Fertig«, sagte sie, packte ihr Werkzeug zusammen und entfernte sich.
Janice drehte am Lippenstift. Glänzend rot und heiß wie Chili. Die Farbe verjüngte sie um Jahre, glaubte sie. Genussvoll strich sie über die Lippen. Diese empfindliche Körperstelle durfte nur sie selbst berühren. Hin und wieder vielleicht ihr Partner, aber sicher keine Visagistin. Es war ein sinnliches Ritual, eine Art Meditation, um sich kurz vor der Sendung zu sammeln. Niemand wagte, sie bei dieser Zeremonie zu stören. Der Regieassistent, der es doch einmal versucht hatte, arbeitete nicht mehr bei ›TNN‹.
»Janice!«
Der laute Ruf erschreckte sie. Der Lippenstift fiel ihr aus der Hand. Erbost drehte sie sich zur Tür.
»Janice, sorry, es ist dringend«, sagte Carmen Tate, während sie mit einem Stoß Papier auf sie zueilte.
In ihrem Windschatten wagte Ben, der Benjamin aus dem Ressort Politik, ihren Tempel des schönen Scheins zu betreten.
»Raus, ich bin noch nicht soweit«, herrschte sie die beiden an.
Carmen Tate schob ungerührt die Scripts beiseite und legte ihre Blätter vor Janice auf den Tisch. »Es gibt eine Änderung. Liveschaltung mit Washington und Sacramento. Green und Johnson haben kurzfristig zugesagt. Lies das. Du hast noch dreiundzwanzig Minuten. Ben gibt dir den Hintergrund.«
Damit hetzte sie auch schon wieder hinaus, Richtung Schneideraum. Janice sprang auf. Giftige Pfeile aus ihren Augen trafen den verängstigten Benjamin.
»Seid ihr vollkommen verrückt geworden?«, keifte sie, dass
Weitere Kostenlose Bücher