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Shutdown

Shutdown

Titel: Shutdown Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Anderegg
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Mantra zwanghaft immer wieder, ohne dass es ihm beruhigte. Die Telefone liefen heiß. Im Sekundentakt kamen Meldungen von Technikern an der Front über die Lautsprecher, die das Netz vor Ort betreuten und überprüften. Wie schon beim ersten Blackout bestätigte sich rasch, dass auch diesmal nicht die Hardware, die Leitungen, Transformatoren, Hochspannungsschalter und Wechselrichter streikten. Sie kämpften gegen Softwareprobleme.
    »Sind wirklich alle Eingänge geschlossen?«, fragte er Lucy.
    Sie tippte schweigend einen kurzen Befehl ein, worauf die Liste der externen Miet- und Wählleitungen über den Konsolenbildschirm fegte. Geduldig blätterte sie zurück, um ihm zu beweisen, dass alle Verbindungen den Zustand ›offline‹ aufwiesen. Der Anblick beruhigte ihn einigermaßen.
    »Gott sei Dank«, seufzte er.
    Wenigstens drohten keine neuen Angriffe von außen. Der Pulverdampf begann sich zu verziehen, obwohl noch keine Lösung des Problems in Sicht war. Halb drei Uhr morgens. Es wurde Zeit, sich mit der Pressemitteilung zu befassen und den Krisenstab einzuberufen. Die Alarmglocken schwiegen. Danny zog sich mit seinem Team von Programmierern in die Büros zurück. Ohne die grässlichen roten Flecke auf den Bildschirmen hätte ein flüchtiger Betrachter beinahe den Eindruck erhalten, in Mission Control herrsche Normalzustand. Ein beklemmendes Gefühl hielt Jim im Kontrollraum zurück. Danny hatte von einem Schläfer-Virus gesprochen. Er selbst war kein Computerfachmann, aber die Bezeichnung Schläfer beschrieb deutlich genug, worum es sich bei solchen digitalen Schädlingen handelte. Niemand garantierte, dass sich nicht noch mehr schlafende Viren im unübersichtlichen Computernetzwerk der ›CGO‹ eingenistet hatten. Programme, die offenbar nicht von der guten Software zu unterscheiden waren und jederzeit zuschlagen konnten. Er traute der trügerischen Ruhe nicht. Im Stillen sandte er ein Stoßgebet in Dannys Richtung, um ihn bei der Fehlersuche zu unterstützen, aber auch daran glaubte er nicht.
    Der Techniker im Sektor B sah es zuerst. Sein gequältes »Nein!« ging im Lärm der Alarmglocken unter. Sacramento färbte sich rot, Stockton im Süden und Yuba City im Norden.
    »Pfad 11 down!«, rief Lucy kreidebleich.
    Das rote Krebsgeschwür im Norden breitete sich in Sekundenschnelle aus. Die Zubringer aus Nevada gingen vom Netz. Ein gelber Balken erschien am oberen Rand des zentralen Großbildschirms. Die Generatoren der Notstromversorgung und das Notnetz der Computerzentrale nahmen den Betrieb auf. In großen Ziffern zeigte die ›Uhr des Jüngsten Gerichts‹ die Stunden und Minuten, die noch blieben, bis auch ihnen der Treibstoff und damit der Strom ausging. Bei der Dimensionierung der Anlage hatte er geglaubt, zu übertreiben, als er 72 Stunden forderte. Jetzt sah die Sache etwas anders aus.
    »Jim, der Gouverneur auf Leitung 2!«, schrie ihm ein Techniker zu, der das Pech hatte, den falschen Anruf entgegenzunehmen.
    Er hörte nur noch mit halbem Ohr zu, wie Lucy weiter zählte: »Dreizehn down, siebzehn down ...«, und griff zum nächsten Telefonhörer. Die Uhr zeigte 71 Stunden 49 Minuten.
     
    San Quentin, Marin County, Kalifornien
     
    Die plötzliche Stille weckte Adam. Sein Zellengenosse Reggie schnarchte zwar weiter wie jede Nacht, aber das Rauschen der Ventilatoren fehlte. Die ekligen Geräusche des ›Cellie‹ auf der Pritsche unter ihm störten als Einzige eine Nachtruhe, wie er sie in den zwölf Jahren im North Block von San Quentin noch nicht erlebt hatte. Widerwillig schlug er die Augen auf. Es blieb stockdunkel. Ungläubig schloss er sie, öffnete sie nochmals, rieb sie. Die schwarze Nacht wollte nicht weichen. War er im Schlaf erblindet? Keine Scheinwerfer. So etwas gab es nicht in einem Gefängnis, schon gar nicht in San Quentin, wo fünftausend Gewalttäter und Mörder in einem Knast eingepfercht lebten, der für dreitausend ausgelegt war. Er stieg vom Bett, tastete sich zum Waschbecken, wo er die Mini–Taschenlampe in einer leeren Zahnpastatube versteckt hatte. Der feine Lichtstrahl blendete. Seine Augen waren in Ordnung. Ohne die Lüftung wurde es schnell stickig in der winzigen Zelle, obwohl es draußen zu regnen begann. Ein tropischer Regen, der statt zu erfrischen nur noch mehr Schwüle ins elende Loch trieb. Einzelne undeutliche Rufe drangen durch die Zellentür. Er erwartete jeden Augenblick die Durchsage über die Lautsprecher, doch sie blieb still, die blecherne Stimme, die sonst

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