Shutdown
noch nicht geändert hatte, das Passwort, mit dem sie auf alle Datenstrukturen zugreifen, sie ändern oder löschen konnte. Mit dem ›root‹ Passwort war man allmächtig, der Gott des Computersystems.
»Wir sollten die fehlenden Verzeichnisse und Dateien herunterladen und uns vom Acker machen«, schlug Emma vor.
»War auch mein erster Gedanke«, gab Jen zu. »Der Download ist sicher eine gute Idee, aber ich glaube, er genügt nicht. Die Installation der Schläfer-Software hat wahrscheinlich Leichen hinterlassen, gelöschte Spuren, die wir finden müssen.«
»›lsop‹?«
Jen nickte. »Ich versuch’s erst damit. Wenn wir Glück haben, sind die gelöschten Files noch nicht überschrieben. Dann starten wir den Download.«
Das Systemkommando erwies sich als wahre Goldgrube. Hunderte verborgener Dateien, scheinbar für immer gelöscht, kamen zum Vorschein, als schlügen sie ein geheimes Buch zum ersten Mal auf. Sofort sicherten sie die Daten auf ihre Disks, dann brachen sie die gefährliche Verbindung ab und begannen mit der Analyse des Materials. Mike kehrte zurück, setzte sich neben Linda, scherzte und lachte mit ihr, als hätte er sich draußen um nichts anderes als den Generator gekümmert. Emma schien ihn nicht zu beachten. Solche Manöver und die unterschwellige Spannung, die sie erzeugten, waren Jen bisher verborgen geblieben. Zwischenmenschliche Dramen hatte sie einfach nicht bemerkt, sofern sie nicht sie selbst betrafen. Sie fragte sich verwundert, weshalb dieser Filter plötzlich durchlässig wurde. War am Ende doch alles mit allem verbunden, wie Jezzus stets behauptete? Sie schnaubte ärgerlich, dass Emma die Arbeit kurz unterbrach und ihr einen fragenden Blick zuwarf.
»Nicht einverstanden?«
»Doch – alles in Ordnung«, stammelte sie.
Sie hatte einen Augenblick nicht aufgepasst und beinahe den Anschluss verloren. Emmas Finger flitzten in irrwitziger Geschwindigkeit über die Tasten. Soweit Jen beurteilen konnte, erweiterte sie ihr Programm zur Mustererkennung, damit sie es bei der neuen Suche nach den Urhebern der Schadsoftware einsetzen konnte.
»Du interessierst dich für auffällige IP-Adressen, richtig?«, fragte sie.
Emma nickte. »Adressen, die nur selten auftreten, und nur in Blöcken, die nach kurzer Zeit wieder gelöscht werden.«
Sie bewunderte Emmas Arbeitsweise. Wo andere mühsam von Hand Datensatz um Datensatz nach solchen Auffälligkeiten abgesucht hätten, passte sie nur in Windeseile ihre Programme an, die dann die komplexe Suche automatisch erledigten. Nach kurzer Prüfung ihrer Änderungen startete sie die Analyse und rauschte ab Richtung Bad. Jen bereitete sich auf eine längere Wartezeit vor, doch Emma war noch nicht zurückgekehrt, als ein Klingelton das Programmende ankündigte.
»Leute, der Toast ist fertig«, rief sie lächelnd nach einem Blick auf das Ergebnis der Analyse.
Im nächsten Augenblick stand die Truppe im Halbkreis vor dem Bildschirm und betrachtete andächtig die Liste der Internet-Adressen, als offenbarten die paar Zahlen die Zeit, die ihnen noch blieb auf Erden. Emma kehrte zurück. Sie setzte sich ungerührt an den Computer, rief ein anderes Programm auf, um die Information, die sich hinter den IP-Adressen versteckte, sichtbar zu machen. Eine Grafik baute sich in einem neuen Fenster auf, eine Landkarte, auf der Ort, Zeit und Häufigkeit der ›Black Hat‹ Attacken verzeichnet waren. Die Beweiskette schloss sich. Einzig die Personen hinter den Angriffen auf ›CGO‹ blieben im Dunkeln.
»Sensationell«, stieß Mike mit breitem Grinsen aus.
Er fiel Emma um den Hals, doch sie entwand sich seiner Umarmung sofort. Der Erfolg schien sie nicht sonderlich zu berühren, schon gar nicht zu überraschen.
»Hat etwas lange gedauert«, sagte sie.
Es hörte sich wie eine Entschuldigung an. Jen verstand sie, denn sie machte sich selbst Vorwürfe, weshalb sie diese Daten nicht früher untersucht hatten. Vielleicht wären die ›Blacks‹ längst aufgeflogen, hätte sie nicht geschlafen. Sinnlos, sich darüber zu ärgern.
»Was machen wir jetzt mit der Information?«, fragte sie.
Mike antwortete, ohne zu zögern: »›TNN‹.«
»Wieso nicht die Bullen?«, wunderte sie sich.
Die Kollegen schüttelten synchron die Köpfe.
»Die Medien haben die Hetzkampagne gegen uns losgetreten«, sagte Mike. »Es wird Zeit, dass sie die Wahrheit erfahren.«
»Glaubt ihr im Ernst, die seien an der Wahrheit interessiert?«
Jezzus schmunzelte. Sein Blick bestätigte, dass
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