Shutdown
Fahrt auf der gewundenen Straße zog sich in die Länge. Vom See war nichts zu sehen. Existierte dieser Tümpel überhaupt, oder war er eine Legende wie El Dorado? An unzähligen ›Burgers‹, ›Pizzas‹, ›Pastas‹ und Baustellen fuhr sie vorbei, bis endlich das ersehnte Blau des Wassers durch die Tannen schimmerte.
Sie hielt beim ersten Deli an, um sich aufzuwärmen und einen Vorrat an Wasser, Kohlenhydraten, Proteinen und Fett zu kaufen. Noch traute sie der Versorgung im unbekannten Nest namens Zephyr Cove nicht. Sie musste den Pappbecher mit dem heißen Kaffee eine Weile halten, bis sie die Finger für die Bedienung ihres Smartphones gebrauchen konnte. Laut GPS blieben noch zwanzig Minuten bis zum Ziel. Zwanzig Minuten Pizzas und Delis und Luxus-Blockhäuser und immer wieder dieses verdammte Nadelholz, das sie verfolgte. Rebecca und Frank hatten sie zu erreichen versucht. Rebeccas Nachricht war kurz: »Gefällt dir die Hütte?« Kaum, aber sie lag weit weg von Adam, das musste genügen. Sie hoffte auf positive Nachrichten von Frank. Er hatte ihr nur eine unbekannte Nummer auf der Mailbox hinterlassen. Sie rief an.
»Wo bist du?«, fragte er sofort.
»Dasselbe wollte ich dich fragen.«
»Das ist Ritas Nummer.«
Sie lachte. »Ach so ist das. Ich bin jetzt am See, in diesem Kaff.«
»Zephyr Cove?«
»Nein, kurz davor.«
»South Lake Tahoe?«
»Kann sein.«
»Schön da oben.«
Er sagte es allen Ernstes, mehr zu sich selbst als zu ihr.
»Machst du Witze?«, protestierte sie. »Hier oben ist das ganze Jahr Winter. Ich bin fast erfroren auf der Strecke.«
Er lachte. »Du bist im Gebirge, Jen. Hast du das nicht gewusst?«
»Gebirge! Und deswegen soll man die ganze Zeit frieren?«
»Du übertreibst. Jetzt ist die beste Jahreszeit für die Gegend um Lake Tahoe, wenn du nicht Ski laufen willst.«
»Ich will weder mit noch ohne Skier laufen. Ich will endlich in Ruhe arbeiten. Gibt’s Neuigkeiten, die ich kennen müsste?«
»Du meinst wegen ... Nein, er ist noch nicht wieder aufgetaucht. Tut mir leid.«
»Mir auch«, brummte sie.
Sie zuckte unwillkürlich zusammen, als ein kräftiger Mann mit schweren Schuhen das Lokal betrat. Würde ihr das nun bei jedem Kerl passieren, bis das Monster gefasst war? Schöne Aussichten. Ihr Verstand behauptete, sie wäre sicher vor ihm hier oben in den Bergen, aber die Angst wollte nicht weichen. Dagegen kannte sie nur eine Medizin: Sie musste sich so schnell wie möglich an den Computer setzen und die Arbeit beenden, die sie in Rebeccas Haus begonnen hatte. Sie bezahlte und machte sich auf die Suche nach der Hütte in Zephyr Cove.
Zephyr Cove, Douglas County, Nevada
Der Ort lag nicht an einer Bucht, wie der Name vermuten ließ, sondern auf einem Hügel mitten im Wald. Sie stellte die BMW beim ›Park & Campground Office‹ ab und schüttelte den Staub von den Kleidern. Das Holzhäuschen musste aus einem Disney-Film mit singenden Bären gefallen sein, so sauber und unschuldig stand es in der Waldlichtung. Ein älterer Herr mit beginnender Glatze, Typ arrivierter Geschäftsmann mit Handicap -18, wartete beim Eingang. Er grinste anerkennend zum Gruß.
»Schwere Maschine.«
Es sollte wohl ein Kompliment für sie sein, nicht fürs Bike, doch ihr war nicht nach Smalltalk.
»Fünfhundert Pfund«, antwortete sie kühl und trat ein.
Sie wollte nur die Schlüssel und die genauen Koordinaten von Rebeccas Hütte. Die einfache Transaktion entwickelte sich zu einem längeren und sehr einseitigen Gespräch mit der Hüterin des Schlüsselkastens. Jen fragte sich, wie Rebecca all die Freundlichkeit aushielt, die einem bei diesen Waldmenschen entgegenschlug wie der heiße Dampf beim Aufgießen in der Sauna. Mit tausend guten Ratschlägen versehen, fuhr sie endlich auf dem Waldsträßchen an Zelten und Wohnwagen vorbei zum angegebenen Platz. Sie stieg ab und drehte sich überrascht um die eigene Achse. Ein Haus oder eine Hütte gab es hier nicht, aber rund herum standen riesige Camper der Luxusklasse zwischen den Bäumen, die genau im richtigen Abstand in den Himmel wuchsen. Rebeccas Hütte stellte sich als grau-weißer Wal auf Rädern heraus, mit dem man leicht eine ganze Fußballmannschaft transportieren konnte.
Sie schreckte auf, als es hinter ihr knackte, und fuhr herum. Die Halbglatze streckte ihr lächelnd die Hand entgegen.
»Sorry, wollte Sie nicht erschrecken. Ich bin Jerry, Ihr Nachbar, wie es scheint.«
Widerwillig schlug sie ein und zwang sich zu einem
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