Shutdown
Rebecca! Sie musste sich zwingen, wegzusehen, nicht hinzuhören. Sie mochte nicht mit der Frau reden, von der sie nicht mehr wusste, wer sie war, obwohl ihr der Verstand dringend dazu riet. Sie hielt sich die Ohren zu, bis das Telefon wieder schwieg, dann schaltete sie es aus.
Ihr Herz pochte in der Brust, als hätte sie reines Koffein in sich hineingeschüttet. Sie ging ziellos auf und ab. Die kostbare Einrichtung, die ausgesuchten Möbel, der ganze Camper der Luxusklasse kam ihr mit einem Mal wie ein goldener Käfig vor. Sie musste weg, jetzt, sofort. Das Häuflein Menschen, denen sie vertraute, war wieder übersichtlich klein geworden. Zurück zu Jezzus in die Nähe der Gegend, wo sie Adam vermutete, hielt sie für die schlechteste Lösung. Der Schock wirkte wie ein reinigendes Gewitter in ihrem Kopf. Sie begann, wieder praktisch und logisch zu denken. Für die weitere Suche nach den ›Black Hats‹ benötigte sie vor allem Kenntnis über die Löcher im Telefonnetz, Lindas Spezialität. Mit ihr zusammen würde sie Steve Duncans Bekanntenkreis am schnellsten knacken. Es gab nur ein kleines Problem dabei: Linda lebte zurzeit an der Ostküste. Der Trip auf dem Bike kam nicht infrage. Sie setzte sich noch ein letztes Mal in Rebeccas ›Hütte‹ an den Computer, um die Reise zu planen.
Am nächsten Morgen verließ sie Zephyr Cove noch bevor Jerry mit Stirnband, Sneakers, iPhone und zuviel Fett aus dem Wohnwagen trat. Sie fuhr auf der I-50 nach Osten. Vor Carson City entpuppte sich die ›einsamste Straße Amerikas‹ als stehende Lastwagenkolonne. Sie dankte dem Schicksal für das wendige Bike, schlängelte sich am Hindernis vorbei und brauste ohne großen Zeitverlust auf Reno zu. Ihr Flug startete erst am frühen Nachmittag, aber sie war froh über jede Minute Reserve. Statt zum Flughafen fuhr sie ein paar Meilen weiter Richtung Osten nach Sparks. Vergangenheitsbewältigung nannte sie ihr Vorhaben, das ein neutraler Beobachter als profane Geldbeschaffung bezeichnet hätte. Sie hoffte trotz Zeitdruck auf einen fairen Preis für Rebeccas Bike beim BMW-Händler.
Überrascht trat sie auf die Bremse. Das Gebäude des Motorrad-Centers sah aus, als hätte jemand ihre Fabrik total erneuert. Mit flauem Gefühl im Magen fuhr sie auf den Parkplatz.
»Eine R 100 RS classic 1990, hmm«, murmelte der Angestellte, der sie nach ihren Wünschen gefragt hatte.
Die Begeisterung in seinem Gesicht wich einer besorgten Nachdenklichkeit. Er besah sich das Motorrad ohne große Begeisterung, umrundete es einige Mal, tastete hie und da etwas ab, bevor er sich zu einem Kommentar hinreißen ließ.
»Die R 100 waren einmal schöne Maschinen, wissen Sie«, sinnierte er, »bloß kaufen will sie keiner mehr.«
»Es gibt doch genügend Liebhaber. Mit Ihrem Kundenstamm ...«
»Meine Kunden wollen moderne, Sprit sparende Maschinen, die mehr leisten«, unterbrach er sofort.
Seine Strategie war offensichtlich. Er entsprach genau dem Klischee, wollte nichts anderes als den Preis drücken. Ihre Uhr tickte. Sie musste diesen Flug erreichen, und sie brauchte das Geld. Die zweitausend Dollar würden nicht ewig reichen.
»Wie viel?«, fragte sie, um die peinliche Prozedur abzukürzen.
Er las ihre Gedanken. Nach kurzem Zögern antwortete er: »2'500 bar auf die Hand.«
»Machen Sie Witze?«, rief sie verärgert.
Das Angebot unterbot ihre schlimmsten Befürchtungen. Sie verlangte, den Boss zu sprechen, worauf er ein verbindliches Lächeln auf sein Gesicht zauberte.
»Dreitausend, mehr kann ich beim besten Willen nicht verantworten.«
»Sie spinnen«, stellte sie nüchtern fest.
Sie schwang sich wieder auf den Sattel und startete den Motor.
»Warten Sie!«, rief ein älterer Herr.
Der Mann war von kräftiger Statur, hatte gepflegtes, silbergraues Haar und seine Bikermontur saß wie ein Maßanzug. Nur der Schlips fehlte. Er beobachtete die unfruchtbare Unterhaltung schon eine Weile mit Schmunzeln. Nun kam er näher, streckte ihr die Hand entgegen und stellte sich höflich vor, dann sagte er zum verdutzten Angestellten:
»Rob, ich möchte mich gerne mit der Dame unterhalten.«
»Selbstverständlich, Mr. Brown.«
Der Silberrücken schien ein wichtiger Kunde zu sein.
»Ich bin in Eile«, brummte sie vorsichtshalber.
»Sie möchten dieses Prachtstück verkaufen?«
»Aber nicht an diese Halsabschneider.«
»Wie wenig hat er denn geboten?«
»Dreitausend.«
»Das grenzt allerdings an Betrug«, lachte er. »Vor allem wenn man
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