Shutdown
Schlüssel mit eingeprägter Nummer. Der Schlüssel zu einem Schließfach. Rebecca besaß keinen Safe. Wenn sie, was selten vorkam, etwas Wichtiges aufzubewahren hatte, mietete sie ein Schließfach am nahen Flughafen. »Besser als die Bank, um schnell zu verduften«, hatte sie einst gescherzt.
Die Sirenen herannahender Einsatzwagen schreckten ihn aus seinen Gedanken auf. Er ging ins Haus zurück zur Tür, um die Kollegen zu empfangen. Den Schlüssel steckte er geistesabwesend ein und vergaß ihn.
Erst am nächsten Morgen, nach einer schlaflosen Nacht voller Schuldgefühle, Vorwürfe, Wut und Trauer spürte er das kalte Eisen in seiner Hosentasche. Kurz entschlossen fuhr er zum Flughafen und suchte das Schließfach mit der Nummer 127. Es enthielt nur einen Gegenstand: ein Handy, wie er noch keines gesehen hatte, ein goldenes iPhone. Das Gerät sah aus wie eine sehr teure Spezialanfertigung, aber war das ein Grund, es hier zu verstecken? Er glaubte keine Sekunde daran. Die Daten waren es, die dieses Handy so wichtig machten. Er suchte sich eine ruhige Ecke im Coffeeshop und schaltete das Gerät ein. Sofort begann es aufgeregt zu klingeln, dass er es erschrocken in die Hosentasche steckte. Er wartete lange, bis es sich beruhigte, dann zog er es vorsichtig heraus, bereit, es wie der Blitz abzuschalten, sollte es wieder laut werden. Sechsunddreißig neue Nachrichten zeigte es an. Er blätterte durch die ersten paar SMS-Texte. Der Inhalt sagte ihm nichts, aber er wunderte sich über die immer wieder verwendete Anrede: Carmen. Allmählich begriff er, dass dies nicht Rebeccas Handy sein konnte. Er verstand nicht viel von solchen Smartphones, fand aber dennoch die Schaltfläche für die Einstellungen . Carmen Tate’s iPhone stand in der Informationszeile.
»Carmen Tate«, murmelte er nachdenklich.
Der Name kam ihm bekannt vor. Rosenblatt, sein Nachfolger beim SFPD, hatte ihn im Zusammenhang mit seinen Ermittlungen erwähnt. Das Fundstück fühlte sich auf einen Schlag unangenehm heiß an. Zudem begann es zu vibrieren in seiner Hand. Eine Amanda rief an. Er schaltete ab. War Rebecca in eine krumme Sache verwickelt? Der Gedanke quälte ihn auf dem Weg zurück zu Ritas B&B.
»Weiß man schon mehr?«, fragte sie sofort.
»Über Rebecca?«
»Was sonst?«
»Nein, leider noch nicht. Wir müssen die Obduktion abwarten.«
Sie griff nach seiner Hand und klammerte sich daran wie die Schiffbrüchige an den Rettungsring. »Madre mia, ist es nicht grauenhaft? Wenn ich mir vorstelle, wie sie das arme Ding aufschneiden.«
»Es geht nicht anders in diesem Fall. Denk einfach nicht daran.«
»Du bist gut. Ich kann an nichts anderes mehr denken.«
Er ließ sie schweigend seine Hand weiter kneten. Ihm blieb nichts anderes übrig. Reden war sowieso nicht seine Stärke, trösten schon gar nicht. Im Übrigen hatte er jetzt ganz andere Sorgen. Carmen Tates Telefon ließ ihm keine Ruhe. Welche Verbindung gab es zwischen ihr und Rebecca? War Rebecca in Rosenblatts Fall verwickelt? Sie arbeitete oft in San Francisco – hatte gearbeitet. Viel mehr wusste er nicht über ihre Tätigkeit. Das Vernünftigste wäre, den Fund direkt seinem Kollegen zu übergeben, aber vernünftiges Handeln gehörte auch nicht zu seinen Stärken.
»Ich muss noch mal weg«, sagte er.
Zögernd lockerte sie ihren Griff und wandte sich traurig wieder den Gläsern zu, um sie ein zweites Mal zu polieren.
»Tu, was du nicht lassen kannst.«
Er ging die paar Schritte zu seinem Haus zu Fuß. Dort zog er sich ins Hinterzimmer zurück, das Unwissende wie Rita als Gerümpelkammer bezeichneten. Das mochte stimmen, aber es besaß eine wichtige Eigenschaft, die es in seiner aktiven Zeit als Lieutenant der Kripo so wertvoll machte, dass er es mit einem bequemen Sofa ausgestattet hatte. Die fensterlose Kammer war ein Funkloch. So hatte er sich früher mit gutem Gewissen manche wohlverdiente Ruhestunde gegönnt, ohne das Diensttelefon abschalten zu müssen. Hier störte ihn kein Anruf.
Diesmal durchkämmte er die Textnachrichten systematisch, ebenso die Anruflisten. Er notierte, wer wann mit Carmen Kontakt suchte oder aufgenommen hatte, wen sie wann angerufen hatte und versuchte, ein Muster zu entdecken. Die Kontakte waren meist nur mit ihren Vornamen oder Kürzeln registriert, aber über die Telefonnummern würde er ihre Identität schnell feststellen, falls er es wollte. Ein Kürzel beschleunigte seinen Puls beträchtlich, sobald er es entdeckte: ›steved‹, der
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