Shutdown
Journalist, dessen wahren Namen, Steve Duncan, er für Jen ermittelt hatte. Carmen Tate und er hatten in letzter Zeit auffällig oft miteinander gesprochen. Verwirrt schüttelte er den Kopf, schloss die Augen und dachte nach.
»Jen hat mich angeschwindelt«, schloss er nach einer Weile.
Steve Duncan wusste nichts über Adam, wie sie angedeutet hatte. Das ergab keinen Sinn. Es ging um eine ganz andere Geschichte, die mit dem Umfeld von Carmen Tate zusammenhing – und mit Rebecca und Jen. Am liebsten hätte er Jen sofort angerufen, doch er wusste noch immer nicht, wie er ihr die Nachricht über Rebeccas Tod mitteilen wollte. Verlegen und verärgert zugleich nahm er sich Carmen Tates Mails vor. Ihr Archiv war auf die stattliche Zahl von über zweitausend Nachrichten angewachsen, wenn er den Zähler richtig interpretierte. Es würde Tage oder Wochen dauern, die alle anzusehen. So beschränkte er sich darauf, sich einen Überblick über die häufigsten Absender zu verschaffen. Nicht überraschend tauchten viele der Telefonkontakte auch in den Mails auf. Seine Hand ermüdete von der ewig gleichen Wischbewegung beim Rollen der nicht enden wollenden Liste. Er war nahe daran, aufzugeben, als er unvermittelt innehielt. Ein neuer Name tauchte auf unter den alten Nachrichten, die Carmen vor vier Jahren erhalten hatte. Ein Name, an den er sich erinnerte, weil er seinerzeit Schlagzeilen gemacht hatte. Patricia Farmer stand mehrmals groß auf der Frontseite der ›Post‹. Nur an den Zusammenhang erinnerte er sich nicht.
Ein Geräusch an der Wohnungstür schreckte ihn auf.
»Frank, bist du da?«, fragte Ritas ängstliche Stimme.
Drei geschlagene Stunden hatte er in der Zelle mit dem goldenen Handy verbracht, wie er beim Blick auf die Uhr erstaunt feststellte. Er schaltete das Gerät aus, steckte es ein und trat in den Flur.
»Wer sonst?«, grinste er.
Sie musterte ihn vorwurfsvoll. »Mein Gott, wo steckst du denn die ganze Zeit? Was tust du da?«
»Das ist mein Haus, meine Wohnung, schon vergessen?«
»Hör auf, meine Fragen mit Fragen zu beantworten. Ich mache mir Sorgen. Du bist einfach abgehauen ...«
»Wie man sieht, findest du mich trotzdem.«
Ihr war nicht nach Scherzen zumute. Im Gegenteil, ein schlimmer Gedanke schien sie plötzlich zu erschrecken.
»Du wirst doch nicht ...«
»Wieder hier einziehen?«, ergänzte er lachend. »Keine Angst. Vorläufig gefällt mir deine Pension ganz gut. Und jetzt entschuldige mich bitte. Ich habe noch etwas zu erledigen.«
Sie schüttelte missbilligend den Kopf. »Diesen Blick kenne ich. Du bist wieder im Dienst. Pass auf dich auf, Frank Taylor.«
Er musste sich beeilen. Die Bibliothek schloss um sechs. Eine halbe Stunde blieb ihm, um die ›Post‹ Ausgaben mit den Artikeln zu Pat Farmer zu suchen. Kurz vor Torschluss lag der Leitartikel vor ihm, an den er sich schwach erinnert hatte. Pat Farmer, langjährige Mitarbeiterin und Managing Director beim Medienkonzern ›Trusted News Corp.‹, verließ die Firma mit einem Paukenschlag wegen unüberwindlicher Differenzen mit der Geschäftsleitung. Ihre Aufgaben übernahm per sofort ein anderer Shootingstar bei ›TNC‹: Carmen Tate. Geschehen vor vier Jahren.
Bunker Hill, Charlestown, Massachusetts
Jen schlug verwirrt die Augen auf.
»Wie bitte?«, fragte sie den Taxifahrer, doch der schien mit sich selbst gesprochen zu haben.
Sie musste kurz nach der Landung eingenickt sein. Die nächtliche Skyline von downtown Boston lag schon hinter ihnen. Boston , dachte sie mit müdem Lächeln, bevor ihr die Lider wieder zufielen. Bisher war sie nie über Kalifornien hinausgekommen, abgesehen von der Episode im Grenzland Nevadas. Reisen stand nicht oben auf ihrer kurzen Liste erstrebenswerter Tätigkeiten. Es stand auf keiner ihrer Listen, denn es bedeutete nichts als Mühsal, die sie nur auf sich nahm, wenn es nicht anders ging.
Lindas neue Adresse war ein braunes Backsteingebäude nahe der Kirche mitten in Bunker Hill. Es dauerte lange, bis sie auf ihr Klingeln reagierte.
»Hast du geschlafen?«, fragte Jen, auf ihrem Seesack sitzend.
Linda schüttelte lachend den Kopf. »Wir haben geschlafen – miteinander.«
»Mike?«
»Wie kommst du darauf?«
»Ihr habt doch in der Fabrik ...«
»Das ist lange her. War nur Sex. Komm herein.«
»Ach so.«
Sie verstand den Unterschied zwischen Sex und miteinander schlafen nicht, fühlte sich aber zu müde, das unwichtige Thema zu vertiefen. Die Wohnung war noch nicht fertig.
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