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Shutdown

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Titel: Shutdown Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Anderegg
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Jedenfalls sah sie so aus, denn Möbel fehlten weitgehend und es roch nach frischer Farbe. Eine Plastikplane bedeckte den Fußboden im Wohnzimmer. Eine Bockleiter stand vor der neu gestrichenen, olivgrünen Wand. Malerwerkzeug lag griffbereit daneben.
    »Wird toll, nicht wahr?«, freute sich Linda. »Romeo macht das perfekt.«
    Romeo, feuriger Lover und begnadeter Heimwerker. Der Name kam ihr bekannt vor. Was war mit ihrer Freundin geschehen? Wie konnte sie ein so stinknormales Leben führen und auch noch glücklich sein, dass es schmerzte? Hatte der perfekte Romeo sie verdorben?
    »Kommst du, Darling?«, rief der Unbekannte.
    Jen rollte die Augen im Geiste, zu müde für etwas anderes.
    »Ich will nicht stören«, murmelte sie. »Gibt es ein billiges Hotel in der Nähe?«
    Linda lachte. »Kommt nicht infrage. Du wohnst bei uns, solang du willst. Es gibt genug Platz, und der Computerraum ist voll ausgebaut.«
    Sie half ihr, den Sack ins Zimmer zu tragen, das immerhin mit einem Feldbett ausgestattet war. Erleichtert stellte Jen fest, dass die Wände noch jungfräulich weiß geblieben waren.
    »Du wirst dich doch nicht von Romeo vertreiben lassen«, bemerkte Linda etwas besorgt. »Er beißt nicht, du wirst schon sehen. Lass uns morgen über alles reden.«
    Die Wohnung besaß dünne Wände, wie sie wenig später auf dem Weg in die Dusche feststellte. Sie schloss sich im Bad ein und drehte das Wasser auf, um die Fortsetzung des Coitus interruptus nicht weiter mithören zu müssen. Die belebende Wärme rauschte lange über ihren Körper, bis sie wagte, den Hahn zuzudrehen. Linda und ihr Romeo hatten ihr Geschäft erledigt. Sie schob den Duschvorhang zurück und ihr Atem stockte. Noch vor dem nächsten Herzschlag war der Vorhang wieder geschlossen. Sie hatte nur die Hinterseite des nackten Mannes gesehen, der seelenruhig in den Spiegel grinste.
    »Keine Angst, bin gleich wieder weg«, sagte eine angenehm warme Stimme mit Lindas Akzent. »Willkommen in der Zukunft. Ich bin Ron Meo, aber das weißt du sicher schon. Fühl dich wie zu Hause.«
    Sie wagte sich nicht zu rühren hinter dem Vorhang. Die Badezimmertür war längst wieder ins Schloss gefallen, als sie ihn vorsichtig zurückschob. Linda als biedere Bürgerliche und Ron Meo alias Romeo, der nackte Adonis aus der Zukunft. Sie war in einem Irrenhaus gelandet. Geräuschlos stahl sie sich in ihr Zimmer zurück und zog sich wieder an. Sie dachte nicht mehr an Schlaf. Die einzige Medizin, um nicht selbst den Boden unter den Füssen zu verlieren, war jetzt konzentrierte Arbeit. Sie setzte sich an den Laptop.
    Linda hatte so etwas vorausgesehen. Das Passwort fürs WLAN stand auf einem Post-it an der Wand neben dem Bett. Im Dämmerlicht der Straßenlaternen nahm sie sich nochmals Steve Duncans Anruflisten und ihre Notizen dazu vor. Er verfügte über ein ausgedehntes Beziehungsnetz, wie sie nicht anders erwartete von einem Journalisten. Die meisten Kontakte benutzte er nur selten, aber drei Namen tauchten seit dem Blackout immer wieder auf: Carmen, Zach und JWard. Die letzten zwei glaubte sie zu kennen. JWard war das Kürzel für Jim Ward, den unglücklichen Manager von ›CGO‹. Bei Zach dachte sie sofort an Zach Rant, den Phrasendrescher der extremen Rechten im Fernsehen, dessen Einstellung zu den Artikeln passte, die sie von Duncan gelesen hatte. Aus den Daten seines Handys ließ sich das allerdings nicht beweisen. Der Kontakt hieß einfach Zach. Dabei stand die Mobiltelefonnummer, sonst nichts. Ebenso geheimnisvoll las sich der Eintrag zum Kürzel Carmen: Carmen, Telefonnummer, e–Mail [email protected]. Carmen Tate von ›Trusted News Corp.‹, immerhin ein Anhaltspunkt für die weitere Suche. Sie rief die Internetseiten der Suchmaschinen auf. Die ersten paar Dutzend Links zu Carmen Tate rollten über den Monitor, dann begannen sich die Buchstaben aufzulösen. Die Pixel schwebten aus dem Bildschirm in den Lichtkegel der Lampe vor dem Haus und tanzten mit ihren Gedanken dem strahlenden Hintern Romeos entgegen, als hätten sie das Tor zur Zukunft gefunden.
    »Jen? Alles in Ordnung?«, fragte Linda auf ihrer Wolke.
    Sie schreckte auf und fegte dabei um ein Haar ihren Laptop vom Bett.
    »Schläfst du neuerdings mit deinem Computer?«, lachte die Freundin.
    »Wie spät ist es?«
    Draußen war es hell. Die Sonne warf den Schatten des Fensterkreuzes auf den Boden. Sie stand hoch.
    »Kurz vor zwölf. Du hast lange geschlafen. Und angezogen bist du auch schon seit geraumer

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