Shutdown
Zeit, wie ich sehe.«
»Mist, Rebecca!«
Sie stürzte sich auf ihr Handy neben dem Seesack, wählte Franks Nummer und zählte ungeduldig die Summtöne, bis er abhob.
»Mensch, Jen, wo hast du gesteckt? Ich wollte dich anrufen, aber dein Telefon ...«
»Tut mir leid, ich musste die Nummer wechseln.«
»Kommt das öfter vor bei dir?«
»Bei dir doch auch.«
Er lachte gequält. »Na hör mal, willst du mir nicht endlich sagen, was los ist mit dir?«
Sie wartete, bis Linda sich zurückgezogen hatte, bevor sie die Frage nach Rebecca stellte. Er zögerte lange mit der Antwort.
»Bist du noch dran? Warum hat er mit ihrem Handy angerufen?«
Sie vermied es, Adams Namen auszusprechen. Beide wussten, worum es ging.
»Adam ...«
»War er bei Rebecca?«
Er räusperte sich umständlich. »Es – sieht so aus. Wir wissen es nicht genau.«
»Wer ist wir? Was ist los? Er hat mich auf ihrem Handy ...«
»Ich weiß. Ja, er war im Haus. Hör zu, es tut mir leid. Rebecca – es hat einen schlimmen Unfall gegeben.«
Sie spürte eine eiskalte Hand im Nacken. Ihr Herz drohte auszusetzen, um im nächsten Augenblick umso heftiger zu schlagen. Franks Antwort konnte nur eines bedeuten. Sie wollte die Frage stellen, doch ihre Stimme versagte.
»Rebecca ist gestorben«, sagte er leise.
»Tot?«
Es klang wie ein Hilfeschrei, ausgelöst durch die unbarmherzige Gewissheit. Rebeccas Engelsgesicht lächelte ihr zu. Sie saß auf ihrem Bett und hörte ihr zu, wie sie mit Franks Stimme berichtete. Die Vorstellung machte das Unerträgliche erträglicher.
»Hat er sie ...«, flüsterte sie tonlos, nachdem er geendet hatte.
»Es kann ein Unfall gewesen sein. Vielleicht ist sie unglücklich gestürzt. Wie gesagt, wir wissen noch nicht, was genau geschehen ist.«
»Er hat sie umgebracht, und ich bin schuld.«
Sie zweifelte keinen Augenblick an ihrer entsetzlichen Feststellung. Ohne sie würde Rebecca noch leben. Das zarte Wesen, zu dem sie sich hingezogen fühlte wie noch zu niemandem außer ihrer Mutter. Ihr Doppelleben als Claire bedeutete nichts mehr. Der einzige Mensch, dem sie ihr Herz bedingungslos geöffnet hätte, war tot. Der Gedanke drohte sie zu erdrücken. Sie hörte Frank nicht länger zu, trennte die Verbindung und ging im Zimmer auf und ab, als könnte sie die Schuld von sich abschütteln. Rebecca hatte sie dem Monster nicht verraten. Deshalb musste sie sterben. Sie war schuld an ihrem Tod.
Du hast sie getötet! , rief die Stimme in ihrem Kopf. Sie schrie laut und lauter, bis sie kaum mehr einen klaren Gedanken fassen konnte. Sie hielt es nicht mehr aus im Zimmer. Blind und taub für alles, was um sie herum vorging, rannte sie aus dem Haus. Die Stimme blieb ihr dicht auf den Fersen. Nie wieder würde ihr diese Schuld vergeben. Das Bild des Engels verblasste. Sie sah Rebeccas toten Körper im Wasser treiben. Riesige schwarze Augen im blassen Gesicht starrten sie vorwurfsvoll an, und die Stimme wollte nicht verstummen. Sie schlug sich verzweifelt und wütend an die Stirn, irrte ziellos durch die Straßen, bis sie vor der grauen Mauer der Kirche stand. Sie musste die Dämonen austreiben, wollte sie nicht vollends verrückt werden. Dazu kannte sie nur ein Mittel, das sicher wirkte. Nur das Grauen, das sie in der Kirche erwartete, war imstande, Angst und Schrecken und das Entsetzen über sich selbst zu bekämpfen.
Kalter Schweiß trat ihr auf die Stirn, als sie das schwere Tor einen Spaltbreit öffnete und hineinschlüpfte. Sie taumelte an der langen Reihe der Holzbänke vorbei zum Altar. Die biblischen Szenen der Fenster leuchteten gespenstisch in der Mittagssonne. Das Kreuz über dem Altar strahlte, als hätte es der Teufel selbst zur Weißglut gebracht in seiner höllischen Schmiede. Sie kauerte wieder am Boden in der klirrenden Kälte jener Winternacht in Parlier. Die Glut des eisernen Kreuzes würde im nächsten Augenblick ihre Zunge versengen. Mit einem stummen Schrei schloss sie die Augen in Erwartung des Unabwendbaren.
Ein fremdes Geräusch drang allmählich in ihr Bewusstsein. Sie schlug die Augen auf, blinzelte, geblendet vom strahlenden Kreuz. Verwirrt blickte sie um sich, bis sie sich erinnerte. Die Dämonen schwiegen. Es herrschte eine andächtige Stille im leeren Gotteshaus. Nach kurzer Zeit begann ihr Telefon wieder zu klingeln. Frank und Rita stand auf dem Display. Sie eilte hinaus und drückte die Empfangstaste.
»Wir wurden unterbrochen«, sagte Frank.
Es klang wie eine Frage, doch sie reagierte
Weitere Kostenlose Bücher