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Shutter Island

Titel: Shutter Island Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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gibt’s zu viel Wasser.«
    Teddy nahm einen Schluck aus der Flasche. Er musterte seinen Sohn. Es war ein großer, kräftiger Junge, aber für sein Alter weinte er zu schnell und war sehr schreckhaft. So wurden die Kinder heutzutage groß, überbehütet und verweichlicht vom wirtschaftlichen Aufschwung. Teddy hätte es gern gesehen, wenn seine Mutter noch gelebt und ihren Enkeln beigebracht hätte, dass man hart und stark sein musste. Der Welt war das scheißegal. Sie schenkte einem nichts. Sie nahm.
    Diese Lektionen konnte natürlich auch ein Mann erteilen, aber eine Frau konnte sie dauerhaft in den Köpfen der Kinder verfestigen.
    Dolores hingegen setzte ihnen Flausen, Träumereien in den Kopf, ging mit ihnen zu oft ins Kino, zum Zirkus, zu Jahrmärkten.
    Er trank noch einen Schluck aus der Flasche und sagte zu seinem Sohn: »Zu viel Wasser also. Sonst noch was?«
    »Nein.«
     
    Manchmal sagte er zu ihr: »Was ist los? Was mache ich falsch? Was fehlt dir? Wie kann ich dich glücklich machen?«
    Und dann sagte sie: »Ich bin glücklich.«
    »Nein, bist du nicht. Sag mir, was ich tun soll. Ich tue alles.«
    »Mir geht’s gut.«
    »Du wirst immer so schnell wütend. Und wenn du nicht wütend bist, bist du zu glücklich und hüpfst durch die Gegend.«
    »Wo ist das Problem?«
    »Es macht den Kindern Angst, und mir auch. Es geht dir nicht gut.«
    »Doch.«
    »Du bist immer traurig.«
    »Nein«, entgegnete sie dann. »Du bist immer traurig.«
     
    Er sprach mit dem Pastor, der ein-, zweimal vorbeischaute. Er sprach mit ihren Schwestern, und die ältere, Delilah, kam für eine Woche von Virginia hoch, was eine Zeit lang zu helfen schien.
    Beide vermieden das Thema Ärzte. Nur Geisteskranke gingen zu Ärzten. Dolores war nicht geisteskrank. Sie war nur nervös.
    Nervös und traurig.
     
    Teddy träumte, sie weckte ihn eines Nachts auf und sagte ihm, er solle seine Pistole holen. Der Schlachter sei im Haus, sagte sie. Unten in der Küche. Er telefoniere auf Russisch.
     
    In jener Nacht auf dem Bürgersteig vor dem Cocoanut Grove, als er sich ins Taxi gebeugt hatte, ihr Gesicht nur wenige Zentimeter entfernt gewesen war …
    Da hatte er hineingesehen und gedacht:
    Ich kenne dich . Ich kenne dich von klein auf . Ich habe gewartet . Gewartet , dass du in mein Leben trittst . Jahrelang .
    Ich kenne dich schon mein Leben lang .
    So einfach war das.
    Er verspürte nicht den verzweifelten Wunsch der GIs, mit ihr zu schlafen, bevor er in See stach, denn in jenem Moment wusste er, dass er aus dem Krieg heimkehren würde. Er würde zurückkommen, weil die Götter nicht erst dafür sorgten, dass man die zweite Hälfte seiner Seele traf, und sie einem dann wieder nahmen.
    Er beugte sich vor und sagte es ihr.
    Und er sagte: »Mach dir keine Sorgen. Ich komme zurück.«
    Sie strich ihm übers Gesicht. »Bitte, ja?«
     
    Er träumte, er kehre ins Haus am See zurück.
    Er war in Oklahoma gewesen. Hatte mit ungefähr zehn Zwischenstationen zwei Wochen lang einen Mann von den Docks in South Boston bis nach Tulsa verfolgt, war immer einen Schritt zu spät gewesen, bis er buchstäblich mit dem Kerl zusammenstieß, als er aus der Herrentoilette einer Tankstelle kam.
    Um elf Uhr morgens betrat er das Haus, dankbar, dass es ein Wochentag war und die Jungen in der Schule waren. Ihm saß die Fahrt in den Knochen, er sehnte sich nach seinem Bett. Er ging hinein, rief Dolores und goss sich einen doppelten Scotch ein. Da kam sie von hinten herein und sagte: »Es ist nicht genug.«
    Mit dem Glas in der Hand drehte er sich um und fragte: »Was denn, Schatz?« Da merkte er, dass sie ganz nass war, als hätte sie gerade unter der Dusche gestanden, bloß trug sie ein altes dunkles Kleid mit verblasstem Blumenmuster. Sie war barfuß, das Wasser tropfte ihr aus dem Haar und aus dem Kleid.
    »Schatz«, sagte er, »du bist ja ganz nass!«
    Sie sagte wieder: »Es ist nicht genug«, und stellte eine Flasche auf die Küchentheke. »Ich bin noch wach.«
    Dann ging sie wieder nach draußen.
    Teddy sah ihr nach, wie sie mit langen, schlurfenden Schritten zum Pavillon schwankte. Er stellte sein Glas auf die Theke, betrachtete die Flasche und sah, dass es das nach ihrem Klinikaufenthalt vom Arzt verschriebene Beruhigungsmittel war. Wenn Teddy länger unterwegs war, maß er die Teelöffel ab, die sie seiner Meinung nach während seiner Abwesenheit brauchte, und schüttete sie in ein kleines Fläschchen im Apothekenschrank. Dann schloss er die Flasche im Keller

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